Direkt zum Inhalt springen
Info & Kommentare

Dystopie: Einmal Sport. Immer/Inter Sport?

Dystopie: Einmal Sport. Immer/Inter Sport?

Schauspielerin Silviana Ursu findet im Film ihren Rollenvater wieder, der aus dem Untergrund den Widerstand betreibt und subversiv weiter als Trainer tätig ist. Srceenshot Youtube

Wie es ist, in einer Welt aufzuwachsen, in der Machthaber den Menschen Freiheitsrechte vorenthalten, das erlebt Silviana Ursu, die Tochter des Görlitzer Oberbürgermeisters Octavian Ursu, in einem aufwendig produzierten Kampagnenkurzfilm der Sportfachhandelskette Intersport.

Görlitz / Vancouver / Tiflis. Außerhalb der klassischen Medien wird Werbung immer raffinierter. Image schaffen die Großen sich heute zunehmend auch mit ungewöhnlichen Aktionen, die vom potenziellen Kunden als kulturell-gesellschaftlicher Mehrwert wahrgenommen werden. So verbreitet sich derzeit ein knapp zehnminütiger, aufwendig produzierter Youtube-Imagefilm in Sozialen Netzwerken des Internets über Links. Von der Agentur Jung von Matt ersonnen, ist er unter dem Namen „Einmal Sport. Intersport. – Der Film“ zu finden. Die Hauptrolle darin spielt Silviana Ursu, die Tochter des Görlitzer Oberbürgermeisters Octavian Ursu. Der Film beginnt mit einer auf einer LED-Anzeige zu sehenden und scheinbar im Radio oder TV zu hörenden Verlautbarung vom 20. Oktober 2041: „Guten Morgen, um die Produktivität endlich zu steigern kommt es nun doch: ein unbefristetes Sportverbot.“ Ein andere Stimme verkündet: „Ein landesweites Sportverbot soll endlich den Aufschwung bringen“, eine weitere: „Kein Sport, kein Laufen, kein Fußball. Keine Bewegungen, welche die körperliche Produktivität am Arbeitsplatz beeinträchtigen könnten. Eine umstrittene Studie macht das Verbot nun möglich.“ Ein Trainer ist auf einem Bolzplatz zu sehen, wie er Kinder beim Fußballspielen unterweist und den Sport-Lockdown damit bricht.

Zugleich rücken hochgerüstete Polizisten aus ihrer Festung mit der übergroßen Aufschrift „Staatliche Aktivitäts-Zentrale“ aus, bei ihnen dröhnt es aus dem Lautsprecher: „Sportaktivität lokalisiert. Unmittelbarer Zugriff“. Der Trainer wird vom Feld gezogen, seine eben noch mitspielende und nun schreiende Tochter bleibt zurück. Schnitt.

Fünfzehn Jahre später wird die Tochter – nun von Silviana Ursu gespielt – mit einer Stimme geweckt, die ihr verrät, „Guten Morgen Klara, es ist 7.22 Uhr. Deine Erholung liegt bei 83 Prozent. Ich wünsche Dir einen produktiven Tag.“ Im Radio sagt eine Stimme: „Das landesweite Sportverbot zahlt sich weiter aus.“ Und – „der Coach“, sei weiter auf der Flucht. In der mittlerweile dystopischen Welt fährt Klara im vergitterten Linienbus zu ihrem Arbeitsplatz.

Unterwegs demontieren Polizisten Tore auf einem Spielfeld.â‹Œ Mit dem Film sei eine Markenoffensive gestartet worden, „um auf Barrieren im alltäglichen Leben aufmerksam zu machen, die Menschen daran hindern, sich aktiv zu bewegen“, liest sich die Motivation zum Film in ’SAZ Sport’, dem – laut Eigenbeschreibung – führenden deutschen Fachmedium für die Sportartikelbranche.

Das Marktforschungsunternehmen appinio habe, so eine Pressemitteilung zum ’Claim’ „Einmal Sport. Intersport“ kampagnenbegleitend im Rahmen einer ’repräsentativen Umfrage’ ermittelt: „Obwohl 50 % der deutschen Bevölkerung mindestens einmal in der Woche Sport treiben, bestehen für 74 % Barrieren, die sie in ihrem Sportverhalten einschränken und dafür sorgen, dass sie ihren Sport nicht so ausüben, wie sie es gern würden.“ Diskriminierungen, finanzielle oder psychische Barrieren und Angst vor sexueller Belästigung werden folgend verantwortlich gemacht. Alexandra Popp, Fußballnationalspielerin vom VfL Wolfsburg, E-Sportler und FIFA-Weltmeister MoAuba sowie Ex-Rollstuhlbasketballer und Influencer Leeroy Matata, „die selbst Hürden und Barrieren im Sport erlebt und überwunden haben“, treten als Kampagnenbotschafter in Erscheinung.

Silviana Ursu verrät der Redaktion, dass sie ihre Rolle über ihre Berliner Agentur bekommen habe. Die letzten fünf Jahre lebte sie in Berlin, bis sie kürzlich nach Vancouver zog, „um hier ein Jahr zu leben und zu arbeiten.“ Sie berichtet, dass die Dreharbeiten in Georgiens Hauptstadt Tiflis erfolgten und fügt an: „Eine sehr faszinierende Stadt, die ich als Reiseziel sehr empfehlen kann!“

Die Frage, ob ihr das Engagement Aufwind gegeben habe, beantwortet sie bescheiden: „Da es sich ’nur’ um einen Werbefilm handelt, bin ich mit der Resonanz sehr zufrieden“, meint sie. Görlitzer Freunde bestätigen ihr warmherziges und offenes Wesen. Mit ihr könne man sich immer aufrichtig austauschen. Und sie ist dabei bodenständig geblieben. Ob Berlin, Tiflis oder Vancouver: „Meine Görlitzer Herkunft ist mir sehr wichtig, da es eine einzigartig schöne Stadt in Deutschland ist und eine, meiner Ansicht nach, sehr wichtige Rolle auch in Europa und der EU spielt. Aber das, was ich am meisten mit der Stadt verbinde, ist natürlich meine Familie“, stellt sie klar.

Im Film sieht man sie zweifelnd am Arbeitsplatz, wo im Hintergrund die Durchsage zu hören ist: „Verzichten Sie auf zwischenmenschliche Gespräche und stellen Sie ihre körperlichen Kräfte in den Dienst unserer Produktivität.“ Doch sie googelt nach ihrem Vater und nimmt die Suche auf. Das bleibt nicht unentdeckt. In dunklen Gängen der Metro von Tiflis wird sie von einem Mann verfolgt. Doch in den Katakomben der unterirdischen Welt stößt sie auf eine Party von Sport-Lockdownbrechern, die zu den Klängen des Berliner Rappers Sero (mit dem Kampagnensong „Low“) tanzen und in einer unteridrischen Halle Sport treiben sowie auf Tribünen jubeln. Die volle Produktpalette des Sportartikelhändlers wird durch geschickten Schnitt in Szene gesetzt und auch der Verfolger erhält den subversiven Flyer in die Hand gedrückt: „Einmal Sport. Immer Sport“.

Blick auf die neue Welt

Silviana Ursu findet unter Tränen ihren Rollenvater, der Sero das Mikrofon abnimmt und der aufgepeitschten Masse verkündet: „Nur wer sich bewegt, kann etwas bewegen. Heute ist die letzte Nacht, in der wir im Schatten laufen. Einmal Sport. Immer Sport“. Silviana Ursu sieht man Seite an Seite mit ihrem nun aufgewachten und jetzt lächelnden Verfolger vor jugendlichen Sportlern durch einen Tunnel laufen. Unter Sphärenklängen schreiten sie aus einem mystischen Portal auf einem Berg – visionär über die Stadt und die erhoffte neue Welt blickend. „Betrachten Sie die Handlung des Films als eine Werbe-Fiktion oder sorgen Sie sich selbst vor einer Zukunft, in der wenige über Psychologie und Technik die Massen leiten?“, wollte der Niederschlesische Kurier von Silviana Ursu wissen. „Ich persönlich betrachte die Dystopie, die im Film dargestellt wird, als reine Fiktion, zumindest was westliche Länder betrifft. Damit eine solche Situation, wie die, die im Film dargestellt wird, zustande kommt, müsste erst einmal ein autoritäres Regime herrschen. Dass ein Sportverbot jemals zustande kommt, glaube ich tatsächlich nicht, da insbesondere in autoritären Regimen, Sport stark hervorgehoben und nicht unterdrückt wird“, bekundet sie ein Jahr nach Schließung der Sporthallen. Doch welche tiefere Botschaft über das Bekenntnis zum Sport hinaus sieht Handelsriese Intersport in dem Film? Welche Interpretationsspielräume eröffnen sich? Diese Fragen bleiben aus der Heilbronner Firmenzentrale unbeantwortet. Auf einen Anruf, dass die schriftliche Anfrage und eine Erinnerung bislang unbeantwortet geblieben sind, erklärt eine Mitarbeiterin der dreiköpfigen Pressestelle des Handelsriesen am Mittag des Redaktionsschlusstages, dass sie heute allein und nur halbtags tätig sei. Eine Stellungnahme sei leider nicht mehr möglich. Dem großen Kampagnen- folgt ein schwacher Alltagsauftritt. Oder sind solche Fragen nach dem G20-Gipfel auf Bali, dem Gipfeltreffen der Regierungschefs der führenden Nationen am 15. und 16. November, doch vielleicht zu brisant gewesen? Die weltweite Mobilität von Sportlern, ihr Kräftemessen über Grenzen hinweg, könnte erneut infrage stehen, nachdem der indonesische Gesundheitsminister Budi Gunadi Sadikin beim G-20-Gipfel auf breite Zustimmung stieß, als er betonte, dass man gemeinsam ein digitales Gesundheitszertifikat, anerkannt von der WHO, anstreben solle. Wer korrekt geimpft oder getestet sei, könne dann im Falle einer Pandemie reisen. Bei der nächsten Weltgesundheitsversammlung in Genf werde eine Reform der Internationalen Gesundheitsvorschriften vorgeschlagen.

Till Scholtz-Knobloch / 04.12.2022

Schlagworte zum Artikel

Was sagen Sie zu dem Thema?

Schreiben Sie uns Ihre Meinung

Die Mail-Adresse wird nur für Rückfragen verwendet und spätestens nach 14 Tagen gelöscht.

Mit dem Absenden Ihres Kommentars willigen Sie ein, dass der angegebene Name, Ihre Email-Adresse und die IP-Adresse, die Ihrem Internetanschluss aktuell zugewiesen ist, von uns im Zusammenhang mit Ihrem Kommentar gespeichert werden. Die Email-Adresse und die IP-Adresse werden natürlich nicht veröffentlicht oder weiter gegeben. Weitere Informationen zum Datenschutz bei alles-lausitz.de finden Sie hier. Bitte lesen Sie unsere Netiquette.

Kommentare zum Artikel "Dystopie: Einmal Sport. Immer/Inter Sport?"

Die in Kommentaren geäußerten Meinungen stimmen nicht unbedingt mit der Haltung der Redaktion überein.

  1. Quer- und klardenkend schrieb am

    Schöner Film mit Interpretationsspielraum. Vielleicht zum Nachdenken: Silvana Ursu meint ja, so ein Sportverbot können es bei uns nicht geben, dazu müsse man zunächst ein autoritäres Regime aufbauen.

    Ähhhhh... und das ist, wenn der Gedanke des Sportverbots hier einfach nur exemplarisch zu verstehen sein könnte? ...wie war das mit den Lockdowns kürzlich? Wild gewordene Polizisten, die rodelnde Kinder verfolgt haben? Spielplätze, die mit rot-weißen Bänder abgesperrt waren? Polizisten, die auf Demonstrationen mit Zollstöcken herumgelaufen sind...

    Alles im Alles ein inspirierender Film, der sich damit auseinandersetzt, im Falle einer `schwachsinnigen` Staatsauflage ein Medium, Ventil... zu finden, um die denkenden Massen im Widerstand zu vereinen. Danke dafür.

Weitere aktuelle Artikel