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Als Rafal Gronicz zauderte, Helmut Kohl die Hand zu reichen

Als Rafal Gronicz zauderte, Helmut Kohl die Hand zu reichen

Die Bürgermeister der Europastadt, Octavian Ursu (ganz rechts) und Rafal Gronicz (links von ihm) nahmen die renovierte Alte Mälzerei (Tivoli) bei der Erstausgabe im September 2021 auch äußerlich in Augenschein. Foto: Till Scholtz-Knobloch

Die Oberlausitzer Ruhmeshalle (Dom Kultury) auf polnischer Seite von Görlitz ist Schauplatz der zweiten Auflage der deutsch-polnischen Kulturerbetage. Das neue Format zum gemeinsamen Erleben von Stadtgeschichte und Stadtkultur fand 2021 im Tivoli an der Dr.-Kahlbaum-Alle 14 statt, wo im Juli 2022 bereits die dritte Auflage wartet.

Görlitz. Die Idee für die grenzüberschreitenden Kulturerbetage hatte der polnische Bürgermeister Rafal Gronicz. „Einst hat uns die Neiße getrennt, heute ist es unser gemeinsamer Fluss. Wir sind heute verbunden im Guten wie im Bösen“, sagte er bei den ersten Kulturerbetagen im September 2021. Die Premiere gab es damals bewusst zum Tag des Offenen Denkmals, als sich das nach dem Brand renovierte Tivoli der Öffentlichkeit mit Seminarangeboten vorstellte.

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Imposant – die Kuppel der Oberlausitzer Ruhmeshalle (Dom Kultury). Foto: T. Scholtz-Knobloch

Hatten sich die ersten Kulturerbetage mit der Stadtgeschichte als solcher auseinandergesetzt und mit Schlüsselmomenten, die Görlitz formten, will man sich im zweiten Teil vom 22. bis zum 24. April nun über die Zeitgeschichte der Gegenwart nähern. In Vorträgen, Geländespielen, Ausstellungen und geführten Rundgängen wollen die Projektpartner – die Stadtverwaltung von Ost-Görlitz (Zgorzelec), Tivolibetreiber „Freie evangelische Gemeinde“ (FEG) sowie die Görlitzer Kulturservicegesellschaft mbH – die Oberlausitzer Gedenkhalle (Dom Kultury) in den Fokus nehmen.

Diese ist bekanntlich im Kaiserreich dem Berliner Reichstag nachempfunden worden und beherbergte zunächst das Kaiser-Friedrich-Museum. Dessen Leitmotiv „ein klares Bild der Geschichte, kulturgeschichtlicher und kunstgewerblicher Entwicklung (…) zu geben und damit Heimatkenntnis und Heimatliebe (zu) fördern“ – so der damalige Direktor Ludwig Feyerabend 1912 – scheint es mit den Kulturerbetagen 2022 gemein zu haben.

„Die Intention ist, dass wir uns kennenlernen wollen und herausfinden, was die Gemeinsamkeiten und Unterschiede sind, um zu begreifen, warum wir so oder anders reagieren. Wir wollen der Frage nachgehen, was das Schöne an dem Anderen ist und wo wir Tolereanz benötigen, um den anderen zu verstehen“, erklärt Gerd Weise vom Kulturservice Görlitz.

Seit 1948 dient die Ruhmeshalle als polnisches Kulturhaus, zwei Jahre später wurde es Schauplatz des Görlitzer Abkommens über den Grenzverlauf zwischen der Volksrepublik Polen und der DDR. Die Besucher der Kulturerbetage 2022 begeben sich auf eine Zeitreise in die Entstehungszeit der Halle. „Bei einem Spiel im Freien treffen sie unter anderem auf Hugo Behr, den Stadtarchitekten, Entwurfautor und Hauptbaumeister der Oberlausitzer Gedenkhalle“, verspricht Gerd Weise, der zugleich der FEG angehört.
„Identität entsteht durch Erkundung, doch diese ist schwierig für eine Generation, die ihre Großeltern und Eltern nicht fragen kann, weil sie die Mythen, Legenden und Lieder der Region nicht kennen“, sagte die Ost-Görlitzer Geschichtslehrerin Urszula Zubrzycka bei der Erstauflage 2021. Doch die jüngste Generation lerne bei offenen Grenzen ihre Regionalgeschichte heute durch die Erzählung und Erinnerungen der deutschen Nachbarn kennen, man müsse dies nur ermöglichen, so Zubrzycka. Sie hatte erheblichen Anteil an einer die 1. Kulturerbetage begleitenden Ausstellung 2021 im Tivoli und erinnerte daran, dass es zunächst lange dauerte, bis Deutsche und Polen auf Umwegen zueinander fanden. „In den Siebzigerjahren fanden viele Polinnen Arbeit in der Textilindustrie und es kamen viele Arbeiterinnen aus Polen, die häufig blieben und polnisch-deutsche Familien gründeten.“ Rafal Gronicz pflichtete dem im Gespräch mit dem Niederschlesischen Kurier bei: „Auch deswegen gibt es an der Neiße eine gewisse Immunität gegen Nationalismen.“ Und er berichtete weiter, wie er in den Siebzigerjahren als Sechsjähriger mit einem Valuta-Sparbuch in der Hand zum ersten Mal die Grenze passierte.

Rafal Gronicz schätzt das Lokale und so Landskron-Bier

Besonders hängengeblieben sei ihm der gute Geschmack des DDR-Joghurts. Als Jugendlicher blieb ihm insbesondere der Besuch Helmut Kohls in Görlitz in Erinnerung. „Wir waren mit der Schule bei diesem Besuch dabei und ich stand in der ersten Reihe. Ich traute mich nicht Kohl gegenüber die Hand auszustrecken, was ich bis heute bereue, denn er hätte sie bestimmt ergriffen“, sagte der seit 15 Jahren amtierende Bürgermeister.

Später im Gespräch hält er ein Landskron-Bier in der Hand und sagt: „Landskron ist unser lokales Bier und es ist schön, etwas Lokales zu haben. Ich habe viele Kollegen und Freunde, die längst außerhalb der Stadt leben, aber immer wenn sie nach Hause kommen, greifen sie auf das Lokale zurück und nehmen es auch gerne als Mitbringsel nach Breslau, oder wo auch immer sie jetzt leben, mit“. Heute sei die Stadt nur noch sprachlich zweigeteilt. „Unsere Einwohner machen heute vieles gemeinsam, es gibt Freundschaften, Eheschließungen, unsere Kinder besuchen deutsche Schulen“, blickt er zufrieden in die Zukunft.

Die Ruhmeshalle erhält eine Zeitkapsel

Die Eröffnung der Kulturerbetage 2022 erfolgt am Freitag, 22. April um 17.00 Uhr in der Ruhmeshalle (Dom Kultury) in der ul. Parkowa 1. Am Abend wird unter anderem eine Zeitkapsel in die Kuppel eingesetzt. Die Samstagveranstaltungen an gleicher Stelle beginnen zwischen 11.00 und 17.00 Uhr, am Sonntag zwischen 12.00 und 15.00 Uhr.

Im Juli ist im Wechsel dann bereits die 3. Auflage der Kulturerbetage wieder im Tivoli geplant. Der bis dahin kurze Abstand resultiert daraus, dass Corona den geplanten Rhythmus gleich durcheinandergewirbelt hatte. Das Programm des jetzt anbrechenden Wochenendes ist vollständig unter www.denkmal-pomysl.com zu finden.

Till Scholtz-Knobloch / Klaudia Kandzia / 22.04.2022

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