Der Heiligabend beginnt in der Kirche

Suse Schmid und Klaus Räckers verzichten im Schloss Ottenhain nicht auf weihnachtliche Dekoration. Foto: privat
Jeder verbringt die Advents- und Weihnachtszeit ganz individuell nach seinen Vorstellungen. Für Suse Schmid und Klaus Räckers, die Schlossherren von Schloss Ottenhain, fängt der Heiligabend in der Kirche an.
Ottenhain. Den Wunsch, mit anderen Menschen zusammenzusein und sich zum Beispiel bei der selbst ins Leben gerufenen Veranstaltungsreihe „Glückstreffer“ auszutauschen, erfüllt sich die 71-Jährige einmal im Monat.
„Die dunkle Jahreszeit bringt es mit sich, eine Kerze anzuzünden oder mal jemanden anzurufen, von denen wir lange nichts gehört haben“, sagt sie. Die innere Einkehr und Ruhe findet Suse Schmid auf Spaziergängen: „Hier kann ich über alles nachdenken, was mich bewegt und meine Gedanken ordnen.“
Mit den abendlichen Kerzen im Herbst fängt die Schlossherrin an, ihr „Reich“ weihnachtlich auszuschmücken. Da werden die cremefarbenen Exemplare nach und nach durch rote und grüne ersetzt.
„Ende November treffen wir uns im Kreis netter Frauen, jede bringt Grünzeug aus dem Garten mit – und dann binden wir bei Glühwein und Keksen Adventskränze. Früher habe ich mit den Kindern das ganze Haus dekoriert, heute habe ich eher Freude an der Außendekoration. Da kommt ein Kranz über die Haustür und im Turm leuchtet der Herrnhuter Stern“, sagt sie. Dies sei an einem Nachmittag – zusammen mit ihrem Mann – erledigt.
Was den Weihnachtsbaum betrifft, da kann Suse Schmid rückblickend den gesellschaftlichen Wandel dokumentieren: „In meiner Kindheit und Jugend sind wir tatsächlich mit dem Vater in den Wald gegangen und haben einen Baum geschlagen. Als junge Frau war es ein politisches ,No-Go’, einen Baum zu fällen. Mit meiner eigenen Familie habe ich jahrelang versucht, ein Bäumchen mit Wurzelballen zu retten, um sie dann meistens im Frühling doch aufs Osterfeuer zu werfen, weil sie nicht angewachsen sind.“

Suse Schmid und Klaus Räckers haben sich schon lange im Vorfeld um das weihnachtliche Inventar gekümmert. Foto: Monika Riedel
Und weiter: „Übergangsweise haben wir dann den ,Last-Minute-Baum’ direkt an Heiligabend gekauft und sonnten uns in dem Gefühl, dass er ja ohnehin entsorgt werden müsste. Inzwischen sind wir bei der ,Recycling-Variante’ angekommen und verwenden einen Plastikbaum aus dem Nachlass meiner Eltern. Kitschiger und geschmackloser geht es nun wirklich nicht, aber wir haben die Lacher immer auf unserer Seite.“
Wenn Suse Schmid schon im Spätherbst eine Idee hat, „besorge ich das Geschenk sofort und lege es bis Weihnachten zurück. Wir sind allerdings nicht mehr auf den 24. Dezember fokussiert und beschenken uns im Familien- und Freundeskreis auch mal spontan zwischendurch. Lediglich bei den Enkelkindern ist es noch an Heiligabend gebunden.“ Bei den Weihnachtsgeschenken spielt für die Schlossherrin das Geld eine untergeordnete Rolle: „Während sich das kleinste Enkelkind über ein schönes Buch freut, darf es beim Ehemann auch mal ein Gutschein für ein Wellness-Wochenende sein. Wichtig ist, dass es auch dem Schenkenden Freude macht. Es ist auch ein guter Anlass, mal darüber nachzudenken, welche Wünsche der zu Beschenkende hat. Hierüber gemeinsam ins Gespräch zu kommen, ist doch schon Sinn der Weihnachtszeit.“ Weihnachten bedeutet für die beiden genau das: „Mal den anderen anzuschauen, was in ihm vorgeht, Zeit haben, darauf einzugehen, gemeinsam Zeit zu verbringen und Pläne für die hellere Jahreszeit zu machen.“
Heiligabend beginnt für Suse Schmid und Klaus Räckers immer in der Kirche. „Da komme ich zur Ruhe – und wir haben große Freude am Ottenhainer Krippenspiel. Ich liebe Weihnachtslieder und singe sehr gern alle mit. Danach gibt es zu Hause ein unspektakuläres Abendbrot und eine Bescherung unterm Plastikbaum. Für uns ist gemeinsame Zeit das größte Geschenk: Wir ersparen uns zeitaufwendiges Einkaufen, kompliziertes Kochen und jeden unnötigen Aufwand. Es gab auch schon Jahre, da haben wir den Heiligabend bei den Kindern und Enkeln verbracht – da läuft dann ein ganz anderes Programm. Bei aller Freude empfinden wir es zunehmend als sehr stressig.“
Die Bescherung im Schloss Ottenhain erfolgt nach dem Abendbrot bei schöner Musik. „Wir packen abwechselnd die Präsente aus, haben aber die Anzahl der Geschenke begrenzt. Wichtig ist die Geste und der Gedanke, der dahinter steckt“, betont sie.
Ihr schönstes Weihnachtsgeschenk war ein Taschenbuch, „welches ich mir gewünscht habe mit dem ,Gutschein’ dazu, es ungestört durchlesen zu dürfen. Ich habe nur zwei Tage gebraucht, bin völlig im Text versunken und wurde nur von den Mahlzeiten unterbrochen, die dann mein Mann zubereitet hat. Zwei Tage in Jogginghose auf dem Sofa ohne Stress!“
Das „festliche Essen“ verlegen die beiden einfach auf den Januar. „Im Laufe des Dezembers fülle ich nach und nach die Tiefkühltruhe und den Kühlschrank. Spätestens ab dem 22. Dezember leben wir von den Vorräten. Wir ersparen uns den Kampf um den Parkplatz oder Einkaufswagen, sparen viel Zeit und sind tiefenentspannt, weil wir uns um exklusive Rezepte einfach nicht mehr kümmern. Ravioli aus der Dose mit Sahne überbacken oder aufgepeppte Tiefkühlpizza geben uns Zeit für einen Scrabble-Abend, einen Winterspaziergang oder ein Telefonat mit lieben Menschen“, sagt sie. Die Schlemmereien enden bei ihr jedenfalls nicht als Hüftgold, „da ich täglich auch ausgiebig mit dem Hund spazieren gehe.“
Nochmals Suse Schmid: „Ich wünsche mir für alle Menschen, eine gesunde Balance zu finden zwischen den Advents- und Weihnachtsfeiern und der Zeit der inneren Ruhe , um wieder Kraft und Zuversicht zu schöpfen. Wir müssen die täglichen Geschenke, das Leben in Frieden, das Dach über dem Kopf und das tägliche Essen wertschätzen und dankbar sein.“