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Herold weist ohne Hand gen Dresden statt Prag

Herold weist ohne Hand gen Dresden statt Prag

Herold ist handlos eher gen Dresden gewandt, obwohl er den Weg wohl lieber nach Prag weisen würde. Foto: Till Scholtz-Knobloch

Görlitz. Die Brunnensaison hat begonnen. Bis zum 1. Mai sollen die acht großen Brunnen der Stadt wieder in Betrieb gehen, wobei die Stadt insgesamt 23 Zierbrunnen, zwei Trinkwasserbrunnen, vier Bewässerungsanlagen und eine Spielplatzpumpe unterhält. Vorerst pausieren muss das Wasserspiel am Leipziger Platz aufgrund baulicher Mängel, wo eine Sanierung des kompletten Fliesenbodens notwendig ist. Ein Sorgenkind ist derzeit vor allem jedoch der Heroldsbrunnen auf dem Obermarkt.

Mit dem Rückbau seiner Winterabdeckung ist die Figur des Herolds ohne Lanze, aber mit fehlender Hand nun wieder zu sehen. Am Mittwoch vergangener Woche fand mit Vertretern der Unteren Denkmalschutzbehörde, des SG Straßenbau und Stadtgrün sowie eines Steinmetzbetriebes die Begutachtung des Schadens statt. Im Zuge der Montage der Wintereinhausung war im vergangenen Herbst die rechte Hand abgebrochen und ein „Kippeln“ der Figur festgestellt worden. Die Figur lässt sich leicht kippen, so dass eine Befestigung notwendig wird. Die geplanten Reparaturarbeiten konnten aufgrund der Temperaturen von 3 Grad Celsius zuletzt jedoch noch nicht ausgeführt werden, da die eingesetzten Materialien nicht unter 10 Grad verarbeitet werden dürfen. Sofern die Witterung es zulässt und die Hebebühne für einen Tageseinsatz zur Verfügung steht, kann der neue Termin wohl in der kommenden Woche stattfinden.

Die Einhausung bleibt demontiert, daher wurde bereits das Wasser angestellt, um unbefugtes Beklettern der Brunnenfigur zu vermeiden.

Der im Laufe der Jahrhunderte mehrmals versetzte Brunnen wurde im Jahre 2000 mit der Umgestaltung der Anbindung Brüderstraße an den Obermarkt wieder annähernd an den ursprünglichen Standort des mittelalterlicher Röhrkastens gestellt.

Die Figur eines Görlitzer Stadtknechts und die Wasserspeier stammen vermutlich von 1590, dem Jahr der Errichtung dieses öffentlichen Zier- und Schöpfbrunnens. 1673/74 arbeiteten der Bildhauer Johann Anton und der Steinmetz Hans Pfüster am Brunnen, der Maler Geisius vergoldete die Fahne des „Ritters“, so ist es alten Ratsrechnungen zu entnehmen. Das Ergebnis dieser Arbeiten sehen wir auf einer Zeichnung von 1725: Der Schild der Brunnenfigur trägt das kurfürstlich sächsische Wappen, ursprünglich mag es das böhmische gewesen sein, vermutete der Görlitzer Stadtarchivar Richard Jecht (1858-1945). Den Löwen zeigt uns die Zeichnung nicht. Am steinernen Pfeiler unter den Wasserspeiern befanden sich die Wappen der vier letzten damaligen Bürgermeister.

Offensichtlich gingen diese Wappen verloren, als im 18. Jahrhundert weitere Ausbesserungen vorgenommen wurden. Damals setzte man auch die Figur mit den Wasserspeiern auf eine neue, dem barocken Formempfinden entsprechende geschwungene Säule, wie wir sie heute noch vorfinden, und gab ihr möglicherweise den böhmischen Löwen bei. 1856 wurde der Brunnen am Obermarkt abgebrochen und ein neues Brunnenbecken hinter dem Schwibbogen errichtet, etwa an der Stelle, wo wir heute das Zecherpaar finden. Die Säule mit der Figur und den Wasserspeiern wurde restauriert und wieder aufgestellt. Inzwischen ist der von den Görlitzern so genannte „Georg“ auf dem Brunnen jedoch eine Nachbildung. Das Original kann im Durchgang des Museums Neißstraße 30 besichtigt werden. Die Insignien des Heiligen Georg fehlen dem phantastischen Krieger, statt die Lanze auf einen Drachen zu richten, schmückt er sie mit einem ehemals vergoldeten Wimpel, statt des Drachens bleckt hinter seinen Waden ein böhmischer Löwe die Zunge. „Die Görlitzer, die sich Böhmen gefühlsmäßig mehr verbunden fühlten als Sachsen, sollen darin einen ironischen Kommentar zum Wechsel der Landesherrschaft als Ergebnis des Dreißigjährigen Krieges gesehen haben“, teilt die Stadt mit.

Till Scholtz-Knobloch / 25.04.2021

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