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Landratswahl: „Ich bin nicht der Meyer aus dem Süden“

Landratswahl: „Ich bin nicht der Meyer aus dem Süden“

Stephan Meyer meisterte es, im Norden des Kreisgebietes den richtigen Ton auch für das Land nördlich der Autobahn zu treffen. Foto: Matthias Wehnert

Erwartungsgemäß und ohne Gegenkandidaten hat die CDU mit Stephan Meyer ihren Bewerber für die Nachfolge von Landrat Bernd Lange nominiert. Doch langweilig war der erwartbare Akt schon wegen der völlig ungewöhnlichen Begleiterscheinungen des Prozederes nicht.

See. „Bitte achten Sie auf wetterfeste Kleidung. Für warme Getränke ist gesorgt“. Mit ungewöhnlichen Worten lud die CDU ihre etwa 800 Mitglieder im Landkreis Görlitz zur Nominierung eines Kandidaten für die Wahl des Landrats am 12. Juni 2022 vergangenen Samstag in das Stadion des FC Stahl Rietschen-See im Nieskyer Ortsteil See ein.

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Bei 68 Stimmberechtigten und 68 Ja-Stimmen ist klar: Auch Bernd Lange gibt in diesem Moment seine Stimme für seinen einstigen Referenten ab.

Foto: Till Scholtz-Knobloch

Bei Kälte und leichtem Schneetreiben krochen letztlich 68 Stimmwillige unter das Tribünendach beim einstigen SV 90 See, der insolvent seine Landesligalizenz 2014 an den frisch gegründeten Retortenklub FC Inter Leipzig abgetreten hatte, woraufhin zwischen See und Rietschen eine angesichts der Entfernung beider Orte ungewöhnliche fußballerische Liaison begann. Während am Tribünendach noch immer der Name SV 90 See prangt, wandte sich in ungewöhnlicher Mission Michael Meaubert mit einem geistlichen Wort an die Mitglieder der Union, die trotz der mehr als frischen Luft 3G-Bedingungen zu erfüllen hatten.

Meaubert sprach vom Vertrauen im Sinne von Wagen und Anvertrauen, dem Sterben lernen und betonte, dass Luther bei der Berufung auf den Paulusbrief an die Hebräer davon spreche, nicht an Tatsachen zu zweifeln, die man mit Augen nicht sieht (Hebräer 11,1). Doch hier sähe er auch eine Gefahr für Missbrauch. Vielleicht ging Meaubert in diesem Moment ja die Elberfelder Bibelübersetzung durch den Kopf, in der es heißt: „Der Glaube aber ist eine Wirklichkeit dessen, was man hofft, ein Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht.“ Und da dies in der Politik und gerade derzeit erkennbar zu wenig sein sollte, konkretisierte Meaubert, er beziehe sich auf das Vertrauen, das Paulus in eine Person hege und aus diesem Grunde sei man letztlich hier versammelt.
Am 29. September hatte der Vorstand des CDU-Kreisverbands Stephan Meyer als Kandidaten der Union vorgeschlagen, was durch die anwesenden 68 Mitglieder am Sonnabend auch in Anwesenheit von Ministerpräsident Michael Kretschmer einstimmig bestätigt wurde. Übrigens zwei Tage, nachdem sich dieser bei Maybrit Illner im Fernsehduell mit dem neuen Bundesjustizminister seit 8. Dezember Marco Buschmann (FDP) in Rage und in die Schlagzeilen geredet hatte.

Kreisvorsitzender Florian Oest betonte, dass eigentlich ja auch die Bundestagswahl ausgewertet und Bewerber für die Landratswahl 2022 auserkoren werden sollten. In besonderer Lage dieser Tage müsste nun gar die Ehrung langjähriger Mitglieder ausfallen, während immerhin ein Totengedenken für im Jahresverlauf verstorbenen Mitglieder abgehalten wurde. Oest setzte dann in der Kälte etwas husch husch an und sagte ohne Atempause: „Ich muss fragen, ob ein weiterer Kandidat nominiert wird, das ist nicht der Fall“. Damit war sicher nicht zu rechnen und der bald scheidende Landrat Bernd Lange konnte das Wort ergreifen. „Es gibt 66, die die Hürden des Alltags überspringen (zwei Stimmberechtigte stießen noch hinzu)“ und er werde Meyer unterstützen, „wenn er es braucht und das will. Stephan, Du kriegst es hin!“, so Lange.

Während Michael Kretschmer über das „Generve bei der Staatsregierung“ durch den Landrat beiläufig witzelte, hatte Dr. Stephan Meyer seine Worte ausgewogen gewählt. Unter Bezugnahme auf den Ort des Geschehens betonte der Oderwitzer: „Fußball ist Teamsport. Und auch wir haben eine Teamleistung zu erbringen.“ Der Präsident des Oberlausitzer Kreissportbundes gewährte private Einblicke in ein familiäres Leben in christlicher Ökumene, berufliche Erfahrungen im Emissionshandel und aus Finnland, Polen sowie Kasachstan. In diesem Kontext betonte er: „Der Landkreis Görlitz muss ein Energie-Kreis bleiben.“ Der Kohlekompromiss der neuen Bundesregierung könne so nicht hingenommen werden. Er wolle nicht aus Krisen Profit schlagen, sondern stets selbst aktiv gestalten. Und im preußischen Norden des Kreises gerne gehört: „Ich bin nicht der Meyer aus dem Süden und muss lernen, was nördlich der Autobahn läuft – mit den sorbischen und den niederschlesischen Wurzeln.“ Ob hierbei der anwesende Ex-Landtagsabgeordnete Volker Bandmann im Vorfeld Tipps gegeben hatte? Bandmann riet in einer Wortmeldung, die Union müsse wieder ihre einstige Hausmacht in der Landwirtschaft in den Fokus nehmen. Und neben der Mahnung eines Altvorderen übte auch der Vorsitzende der Jungen Union Clemens Kuche Kritik: „Für uns wird nicht der Kandidat, sondern die Partei selbst das Problem. Verändert die Partei“, riet er. Im Gespräch mit dem Niederschlesischen Kurier erläuterte Kuche, dass er hiermit zur Fähigkeit der Selbstkritik der Union aufrufen wollte, die auf ihre Basis hören müsse.

Stephan Meyer hob weiter hervor, seine Kandidatur zum Landrat sei „nicht in erster Linie eine Parteienkandidatur.“ Er bringe als Langstreckenläufer jedenfalls einen langen Atmen in der Politik mit. Und so gab es als Geschenk der Partei für den einstigen persönlichen Referenten von Landrat Bernd Lange nach der Nominierung auch – passend im Stadion – ein Paar Laufschuhe.
 

Till Scholtz-Knobloch / 12.12.2021

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