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Ostritzer Bahnhofstation auf polnischem Territorium

Ostritzer Bahnhofstation auf polnischem Territorium

Die Ostritzer Bahnhofstation befindet nicht auf deutschem Terrain, sondern im polnischen Ausland – in Krzewina Zgorzelecka.  Foto: Till Scholtz-Knobloch

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Fast schon historisch ist dieses Bild aus dem Jahr 2009. Ein Zug fährt aus Görlitz in Richtung Zittau am Bahnhof Krzewina Zgorzelecka ein. Foto: Jan Lukner

Ostritz. Im Jahr 1873 begann die „Berlin-Görlitzer Eisenbahngesellschaft“ mit dem Bau der Eisenbahnstrecke Zittau-Görlitz. Wieso justament in Zittau und nicht in Görlitz mit dem Bau begonnen wurde, ist nicht überliefert. Auf jeden Fall wurde fleißig gebuddelt und gebaut, denn bereits am 15. Oktober 1875 wurde die Strecke in Betrieb genommen. Allerdings sei laut Chronisten schon damals stark auf Kosteneffizienz geachtet worden. Deshalb wurde in Höhe von Ostritz, um den Bau von zwei Eisenbahnbrücken zu vermeiden und einen kürzeren Schienenweg zu erreichen, kurzerhand die Neiße umverlegt. Keiner ahnte zum damaligen Zeitpunkt, welche Folgen das später einmal haben sollte!

Julius Rolle schrieb in seinem „Heimatbuch der Stadt Ostritz“, dass der Bahnbau in verhältnismäßig kurzer Zeit aus dem stillen Landstädtchen ein Gemeinwesen mit einer ansehnlichen Industrie gemacht hat. Das war bis 1989 so.

Eine einschneidende Zäsur für Ostritz war jedoch der Grenzverlauf nach dem Zweiten Weltkrieg. Denn auf einmal war der Ostritzer Bahnhof im polnischen Ausland und – zunächst – für die Ostritzer Bürger unerreichbar. 
Der Ostritzer Gerold Schmacht weiß zu berichten, dass im Jahr 1948 zwischen den Verantwortlichen der sowjetischen Besatzungszone und der Volksrepublik Polen ein erleichterter Durchgangsverkehr vereinbart wurde. Auf beiden Seiten der Neiße seien zu jener Zeit die Pässe beziehungsweise die Durchlassscheine kontrolliert worden. Das Bahnhofsgebäude war mit einem drei bis vier Meter hohen Zaun umgeben, der bei Finsternis taghell erleuchtet war. Hinzu kam, dass das Bahnhofsgebäude von den Deutschen nicht betreten werden durfte, auch bei schlechtem Wetter nicht.

Der Zug durfte anfangs, so Gerold Schmacht weiter, nur fahren, wenn sämtliche Fenster und Türen verschlossen waren. Letzteres erledigte der Schaffner, der mit seinem Vierkantschlüssel durch den Zug sauste. Im Laufe der Jahre wurden die Anordnungen gelockert. Später fuhr man bei großer Sommerhitze mit offenen Fenstern.

Der Fahrkartenverkauf erfolgte zu DDR-Zeiten durch die Deutsche Reichsbahn in einem roten Backsteingebäude an der Ostritzer Bahnhofstraße keine 50 Meter von der Grenzbrücke entfernt. Aktuell steht dieses Gebäude leer. 
Der Bahnhof – nur einige Meter von der Neiße am deutsch-polnische Grenzverlauf entfernt – ist von Ostritz aus fußläufig zu erreichen. „Bewirtschaftet“ wird der Bahnhof durch die Polnische Bahn, deutsche Züge zwischen Görlitz und Zittau nutzen ihn lediglich als Haltestelle. Die Polnische Bahn eifert offensichtlich der Deutschen Bahn nach, denn auch im Bahnhof Krzewina Zgorzelecka gibt es keinerlei Bahnhofspersonal mehr. Laut der Ostdeutschen Eisenbahn GmbH (ODEG) als Bahnbetreiber werden allerdings die Stellwerke noch von Hand betrieben, dafür wird entsprechendes Personal vorgehalten. Die Epoche der Reichsbahn lässt grüßen! 
In Zeiten der individuellen Mobilität verlor die Bahnverbindung an Bedeutung. „Pro Zugfahrt steigen circa ein bis zwei Fahrgäste in Krzewina Zgorzelecka aus“, so die Pressesprecherin der ODEG, Dietmute Graf. „Die Fahrgäste können die Zugfahrt ganz unkompliziert im Zug in Euro bezahlen“, fügt sie hinzu. Genau 12,3 Kilometer verläuft die Bahnstrecke vor und hinter dem Bahnhof Krzewina Zgorzelecka auf polnischem Gebiet.

Das Bahnhofsgebäude kann für Bahnzwecke nicht mehr genutzt werden. Deshalb ist am Bahnsteig eine kleine, teilverglaste Sitzgelegenheit für drei Personen errichtet worden. Der Rest muss stehen. Das kennt der geübte Bahnfahrer aber bereits von der Deutschen Bahn, die in Sachen Kundenzufriedenheit oftmals auch eine gewisse Zurückhaltung an den Tag legt. 

Bis vor einigen Jahren wohnte noch ein älteres Ehepaar im Bahnhofsgebäude, das sich rührend um die Fläche zwischen Bahnhof und Neiße kümmerte. Viele Leute erfreuten sich an der gepflegten Fläche mit seiner Blumenpracht. Jetzt macht sich dort Unkraut breit. Auch die Zahl der Einkaufsmöglichkeiten hat sich reduziert. Eine kleine Bude, in der überwiegend Zigaretten erworben werden können, hat durchgehalten. Lange vorbei sind auch die Zeiten, als ein findiger Unternehmer in einem Container Friseurleistungen für die geschätzte Kundschaft anbot. 

Wie fragil das europäische Zusammenleben sein kann, wurde im ersten Lockdown deutlich. Da wurde von den polnischen Behörden der Zugang zum Bahnhof im Rahmen der allgemeinen Grenzschließung quasi „über Nacht“ untersagt. Um dieser Regelung Nachdruck zu verleihen, wurde am Ostritzer Grenzübergang auf polnischer Seite schwer bewaffnetes Militär postiert. Die Züge zwischen Görlitz und Zittau verkehrten zwar trotzdem, fuhren aber in Krzewina Zgorzelecka ohne Halt durch. 

Es ist jedoch nicht zu befürchten, dass Ostritz bald seine ausländische Bahnstation verliert. Denn der Beförderungsvertrag mit der ODEG läuft noch bis zum Jahr 2030. Aber auch danach werden die Ostritzer sicherlich weiterhin in den Zug steigen können, da der öffentliche Verkehr derzeit eine Renaissance erlebt.

Steffen Linke / 27.03.2021

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