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Wie die Region eigenen Fortschritt organisiert

Wie die Region eigenen Fortschritt organisiert

Mia Hornemann und Florian Sauer haben das getan, was heute kaum noch jemand tut – sie haben einen neuen landwirtschaftlichen Betrieb „aus dem Boden gestampft“. Foto: Till Scholtz-Knobloch

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Die beiden haben ihren Start als „GbR Lichte Wurzel“ in die Solidarische Landwirtschaft bislang nicht bereut. Foto: Scholtz-Knobloch

Die durchschnittliche Größe eines Gemüsebaubetriebs in Deutschland liegt bei etwa 18,7 Hektar. Mia Hornemann und Florian Sauer haben 2 Hektar in Ober-Neundorf gepachtet, wobei ihr Gemüseanbau im engeren Sinn auf 0,2 Hektar stattfindet – den Rest machen Kartoffelacker, Wiese und Hecken aus. Aber ihr Anbau ist als „solidarische Landwirtschaft“ auf Mitglieder einer Überzeugungsgemeinschaft ausgerichtet.

Ober-Neundorf.
„Die EU setzt zur Erreichung von Umwelt und Naturschutz auf Vorschriften, Bürokratie und Verbote. Das ist das, was ein Staat nun einmal am besten kann. Dabei wird den Landwirten und den Menschen allgemein misstraut und sie immer enger kontrolliert“, beklagt Florian Sauer, der mit Mia Hornemann die Gesellschaft bürgerlichen Rechtes (GbR) „Lichte Wurzel“ in Ober-Neundorf betreibt.

Mia Hornemann erläutert: „Solidarische Landwirtschaft bedeutet, dass sich eine feste Gruppe von Konsumenten um den Hof formiert und einen festen monatlichen Beitrag zahlt und dafür die Produkte vom Hof bekommt.“ Die zunächst 35 festen Abnehmer fanden die beiden über Flugblätter, die sie in unter anderem in Görlitzer Bioläden oder in Zimmis Einkaufsmarkt in Zodel ausgelegt hatten. Konsumenten im engeren Sinne sind das nicht, denn es geht hier um Menschen, „die mitmachen wollen.“ Wer am System teilnimmt, ist etwa zu freiwilligen Arbeitseinsätzen eingeladen. Für das erste Jahr der Betriebsexistenz sei dies auch kommuniziert und nötig gewesen, „aber das Mitarbeiten ist keine Pflicht, weil manche das aus verschiedenen Gründen nicht können oder auch nicht wollen“, erklärt Mia Hornemann. Zum ersten Arbeitseinsatz überhaupt waren übrigens sieben Leute dabei. „Das war auch ein positives soziales Ereignis. Wir haben viel geschafft und hier auch Mittag gegessen“, berichtet sie. Der Kreis der Abnehmer, Mitglieder oder Mitmacher hat quasi ein Abo auf einen festen Warenkorb. 

„Durch die Warenkörbe haben wir unser festes Einkommen und wenn die Ernte schlecht wird, zahlen sie weiter und wenn die Ernte bombastisch ist, zahlen sie auch nur den stets gleichen Preis“, sagt Hor-nemann und erläutert die Zusammenstellung des Warenkorbes.

„Wir haben eine jährliche Mitgliederversammlung, wo die Gemeinschaft entscheidet, was angebaut wird und das bauen wir dann an. Die einzelnen Kisten sind also gleich zusammengestellt, der Inhalt ist aber so letztlich gewollt.“ Florian Sauer ergänzt: „Am Anfang haben wir eine Umfrageliste aufgesetzt, um zu schauen, was beliebt ist und an welchen Produkten sich die Geister scheiden. Fenchel zum Beispiel fanden einige richtig klasse, andere mögen Fenchel gar nicht.“ Aber saisonal bedingt sei man dann eben mal mehr, mal weniger glücklich. „Wir versuchen aber die Größe des Warenkorbes wirklich gleich zu halten.“

Nicht Produkt, sondern die Landwirtschaft finanziert

Am Ende komme man preislich ungefähr bei Bioladenpreise heraus. Florian Sauer stellt jedoch klar: „Die Idee der solidarischen Landwirtschaft ist ja die, dass das Gemüse, das landwirtschaftliche Produkt seinen Preis verliert. Man zahlt eigentlich nicht für das Produkt, sondern man finanziert die Landwirtschaft als solche.“ Denn die sei heute schwer gebeutelt durch grassierende Bürokratie oder das Diktat von Weltmarktpreisen. Ein kleinbäuerlicher Neustart sei da im Grunde nur möglich, wenn man sich auf eine solidarische Landwirtschaft einlasse. „Es ist aus meiner Sicht die einzige Möglichkeit, dass eine kleinstrukturierter Landbau, der der Region, der Umwelt und den Menschen zugute kommt, überhaupt noch bestehen kann.“ 62 % der Obstanbaubetriebe bewirtschaften übrigens deutlich weniger als die durchschnittlich 18,7 Hektar Fläche und bleiben unter 10 Hektar. Aber auch davon ist das Ober-Neundorfer Paar noch weit entfernt.

Der große Vorteil für jeden, der sein Konsumverhalten umstellen will, liegt zunächst einmal darin, dass man vor Ort sehen – oder sich auch beteiligen kann, wie das Essen angebaut wird. „Wenn man Kinder hat ist es für die natürlich auch toll das alles mitzuerleben und Wertschätzung für die Lebensmittel und den Landbau zu bekommen“, wirbt Florian Sauer, der bei mit seiner Partnerin bei einer Biozertifizierung nicht mitmacht. Eine solche habe zwar ihren Wert, allerdings eben überall dort, wo man es tendenziell mit einer unpersönlichen Warenkette zu tun habe, also wenn man im Laden kauft. „Das hat auch mal sehr positiv angefangen, beispielsweise bei der Demeterkontrolle. Landwirte haben sich gegenseitig besucht und kontrolliert und dann ist es irgendwann staatlich reguliert worden. Wie jedes bürokratische System hat sich das aber immer weiter verkompliziert und ist an vielen Stellen gar nicht mehr lebenspraktisch.“ Im Grunde sei vieles zur Knebelung geworden, die dafür sorgt, dass die Großen sich am Markt gut positionieren können, Kleine hingegen nicht. Die verlässlichste Kontrolle erfolge eh durch diejenigen, die bei einem solidarischen Prinzip mitmachen und eine bessere Kontrolle ausüben, als jede anonyme Behörde das könne.

Bewusstsein in der Bevölkerung schärften

Landwirtschaft zeige das vielfache Dilemma, dass sich der Umgang mit erwachsenen Menschen immer öfter als respektlos erweise. „Ein positives Menschenbild ist gefragt – mit der Grundhaltung, dass jeder Bauer an der Gesundheit seines Bodens interessiert ist.“ Die Frage sei also: „Was brauchen Landwirte, um verantwortungsvoll das Land bewirtschaften zu können? Ist es wirklich noch mehr Bürokratie? Oder ist es doch eher zum Beispiel ein sicherer Absatz der Produkte zu fairen Konditionen, der den allgegenwärtigen wirtschaftlichen Druck mindert, so dass wieder mehr Raum und Zeit für Arten- und Bodenschutz im landwirtschaftlichen Alltag entsteht? Dafür braucht es die Unterstützung der Bevölkerung unserer Region, den regelmäßigen Einkauf direkt beim Bauern, den Kauf regionaler Produkte und/oder die Mitgliedschaft in einer Solidarischen Landwirtschaft“, postuliert Florian Sauer.

Mehrere solidarische Anbieter in der Region

Eine Region müsse letztlich für ihren eigenen sozialen und ökologischen Fortschritt sorgen, den eine EU durch keine Richtlinie verordnen könne.

Sauer schwört auf seine eigene Demeter-Ausbildung. Eine solche könne man eigentlich auf jedem biologischen Betrieb absolvieren. Einen Teil seiner Ausbildung machte er auf einem biodynamischen, einem Demeterhof – dem Luisenhof bei Chemnitz. „Man schaut wirklich über den Tellerrand und lernt Dinge, die man in einer staatlichen Ausbildung nicht lernt.“ Sein letztes Lehrjahr absolvierte Florian Sauer dann jedoch im Obst- und Gemüseanbau auf dem Stadtgut in Görlitz. 
Er und Mia Hornemann sehen sich nicht als einzige in der Region den Prinzipien solidarischer Landwirtschaft verpflichtet. „Am ähnlichsten ist uns wohl der Heckenhof in Sohland am Rotstein, von der Größe her oder sogar vom Kleintraktor“, stellen die beiden fest. Weiterhin nennen sie den Enderhof in Tetta, „der es so ähnlich macht wie wir – aber auch nicht nur.“ Ferner gebe es in der Alten Gärtnerei in der Paul-Keller-Straße in Görlitz das La Microferme oder den Lindenhof in Pfaffendorf. „Richtung Rothenburg und Kreba-Neudorf gibt es dann unseres Wissens nichts Vergleichbares“, sagen sie. Ihre 35 Mitglieder würden im Wesentlichen aus Görlitz und Niesky und dem Raum dazwischen stammen. Abnehmer ihrer Produkte sind ferner Zimmis Einkaufsmarkt in Zodel und Naturkost Arche auf dem Gelände der Görlitzer Rabryka. Seit Juni haben die beiden nun auch expandiert und bieten fertig gepackte Kisten jeden Montag für eine halbe Stunde vor dem „Kulturraum“ in der Paul-Neck-Str. 2e in Bautzen an – dort ist auch der Enderhof Tetta vertreten.

Till Scholtz-Knobloch / 08.06.2025

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