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Bahn: Vom langen Abschied von der Infrastruktur

Bahn: Vom langen Abschied von der Infrastruktur

Frank Meuer weist auf die linke Bahnhofshälfte in Reichenbach. Der Eisenbahner wohnte einst im linken Flügel vom Bahnhofsvorplatz betrachtet. Foto: Matthias Wehnert

Frank Meuer hat nicht nur für die Bahn gearbeitet, nein, er war auch letzter Bewohner im Bahnhofsgebäude von Reichenbach. Der Niedergang mancher Infrastrukturen bei der Bahn schmerzt ihn. Vor allem ärgert ihn jedoch der unaufrichtige Umgang damit.

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Kaum zu glauben, hier fuhr einmal Frank Meuers Feldbahn gleich neben dem Reichenbacher Bahnhof. Foto: Till Scholtz-Knobloch

Reichenbach/Görlitz. In der Silvesterausgabe hatte der Niederschlesische Kurier im Rahmen der Berichterstattung zur „Vereinbarung über eine Sicherheits- und Ordnungspartnerschaft für den Bahnhof Görlitz“ beklagt, dass die Görlitzer Bahnhofstoiletten abendlich ab 17.30 Uhr „aufgrund von wiederholtem Vandalisums“ verschlossen bleiben. Genau diese offizielle Lesart (so Bahn-Aufkleber auf den Toilettentüren) stellt Frank Meuer aus Reichenbach als Kenner der Materie jedoch vehement in Frage. „Die Bahn hat einfach kein brauchbares Personal, das mit einem Grundwissen im ’TGA-Bereich’ tätig ist. ’TGA’ steht für Technische Gebäudeausrüstung. Und somit wird ganz einfach der Toilettenbenutzer zum Zerstörer abgestempelt oder beleidigt“, sagt er mit der Spürnase eines lange Involvierten.

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Die Bahnhofsunterführung in Reichenbach zeigt sich vergleichsweise ansehnlich.

Foto: Till Scholtz-Knobloch

1991 habe man damit begonnen, das Görlitzer Bahnhofsgebäude mit einer neuen ’vandalismusresistenten’ Toilettenanalge auszustatten. „Damit nach der Inbetriebnahme auch gleich ein DB-Mitarbeiter zur regelmäßigen Wartung der WC-Anlage zur Verfügung steht, wurde ich aus dem Bereich der damals noch existierenden Hochbaumeisterei an die Firma aus dem Hochsauerlandkreis abgestellt, die die WC-Anlage im Görlitzer Bahnhof erbaute und hier einrichtete“, berichtet er aus seinem beruflichen Nachwendealltag. Bei ’regelmäßiger und guter Wartung’ wurde dieser damals eine Lebensdauer von etwa 50-60 Jahren zugeschrieben. Die Zeit sei also noch lange nicht rum, um einer vandalismusresistenten Anlage laufend Vandalismusschäden zu attestieren, die sie unbrauchbar machen.

„Nach Gründung der Deutschen Bahn AG und Vernichtung der alten Bahnstrukturen wurde aber plötzlich die regelmäßige Wartung zu teuer und zu langsam“, fasst er die neue Zeit kurz zusammen, in der im Rekordtempo unendlich viele Biografien keinen Wert mehr haben sollten. Die Gebäude- und Anlageninstandhaltung sei 1997 aufgelöst worden und er von seinem Arbeitsplatz „getrennt“ worden, beschreibt er dies ganz funktional.

Ausstattungen der Werkstatt in der Sattigstraße waren dann alle weg. Als Eisenbahner fand Meuer aber seine Dienstwohnung im Bahnhof von Reichenbach. Vielen Reichenbachern ist er noch als der Mann in Erinnerung, der die Feldbahn gleich neben dem Reichenbacher Bahnhof im Garten seiner Dienstwohnung betrieb. Seine frühere Zeit bei der Görlitzer Parkeisenbahn, die er mit aufbaute, stand da quasi Pate. Aber Lok „Maxl“, ihre Schwester und 46 Loren waren im kleinen Reichenbach auch nicht auf Dauer finanzierbar, obwohl die Sammlung das Bahnhofsareal natürlich perfekt ergänzte und auch der Nachwuchs mit einer Wertschätzung der Bahn vertraut machte. Das Feldbahnmaterial stammte von Kalkwerk und Ziegelei in Ludwigsdorf und Kaltwasser. Fünf Loren waren als Sitzloren umgebaut, so dass es auch immer wieder Mitfahrmöglichkeiten gab.

Das private Engagement ändere aber auch nichts an der Tatsache, dass parallel der Verfall des Reichenbacher Bahnhofsgebäudes einsetzte. „Unten war ja schon alles zu – Fahrkartenausgabe, Gaststätte. Die Wohnungen wurden dreimal an andere Truppenteile verkauft, unten wurde eingebrochen, bahnsteigseitig die Uhr gesprengt“, erinnert sich Frank Meuer, der 2004 auszog. Er blieb in Bahnhofsnähe wohnhaft und sah über die Jahre das Drama voranschreiten.
Aber wie sehen heute die Perspektiven für den Bahnhof aus?, fragte die Redaktion nach den Infos zur Bahnhofsgeschichte bei Bürgermeisterin Carina Dittrich an. Und die wusste zu berichten, dass der letzte E-MailVerkehr mit der DB gerade einmal zwei Tage zurücklag! „Hier wurde uns mitgeteilt, dass zwei angrenzende Flächen des Bahnhofareals nicht von der Stadt Reichenbach erworben werden können, die wir im Rahmen der Stadtentwicklung aber benötigen. Die Anträge dafür sind über ein Online-Portal zu stellen, die Antwort „Nein“ kam für mich jedoch nicht überraschend.“

Zuvor habe sie mit einem ’etwas höherrangigem Bahnmitarbeiter’ ein angenehmes Gespräch geführt, bei dem es um die Entwicklung des Bahnhofes ging. „Er erläuterte mir, dass Entscheidungen zu Immobilien langfristig getroffen werden. Während vor einigen Jahren noch Flächen gekauft werden konnten, gibt es offensichtlich jetzt andere Pläne. Die Stadt Reichenbach hat seit langem Gespräche mit der DB. Ganz einfach ist das nicht, da die Strukturen und Zuständigkeiten für Außenstehende kompliziert sind. Dennoch ist es uns gelungen mit diversen Sparten die Angelegenheiten zu regeln. Der Bahnübergang an sich zum Beispiel wurde vor circa zwei Jahren saniert.“

Sie bedaure jedoch, dass die ansehnliche Herrichtung der Unterführung nicht lange angehalten habe. Sie reklamiere es aber als Erfolg, dass die Bahn dann vor etwa zwei Jahren ohne Aufforderung den Tunnel gesäubert habe. Im letzten Jahr wurde die Kooperation mit Landespräventionsrat Sachsen und der Polizeidirektion festgezurrt, wobei eine damalige Presseberichterstattung merkwürdigerweise Belastungen der Nutzer des Bahnhofs untergeordnet gegenüber strafrechtlichen Konsequenzen vielfach verwendeter pro-russischer Z-Graffiti thematisierte.
Carina Dittrich erläutert zum Bahnhofsgebäude selbst: „Dieses wurde vor etwa vier Jahren gesichert, das heißt einsturzgefährdete Anbauten rückgebaut und Fenster vergittert. Seit dieser Zeit wird der Bahnsteig wöchentlich gereinigt. Das Gebäude an sich stand aber nie zum Verkauf! Hier gab es mehrere Anfragen, nicht nur durch mich. Nach meiner Kenntnis liegt das Gebäude im Sicherheitsbereich der Gleisanlagen der DB und kann deshalb nicht verkauft werden. Im Gespräch aus der vergangenen Woche war herrauszuhören, dass eine mögliche Elektrifizierung bei den aktuellen Entscheidungen eine Rolle spiele.“

Die Zeiten, in denen Bahnhof und Bahnhofsgebäude jedoch fast synonym Verwendung fanden, ist längst vorbei. Letztlich wird das ganze Areal nur auf Dauer als Visitenkarte der Stadt funktionieren, wenn das alte Bahnhofsgebäude entweder in neuer Nutzung eine ansehnliche Zukunft haben darf oder – im schlimmeren Fall – eines Tages als Schandfleck verschwindet. Frank Meuer sagt: „Das ist ja an vielen Orten schon passiert. Es gibt ja manche Objekte, die lässt man verkommen. Irgendwann folgt dann ein oft gewollter Abriss“. 

Till Scholtz-Knobloch / 04.02.2024

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