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Geschichte: Ein Tag im Bautzen der Siebzigerjahre

Geschichte: Ein Tag im Bautzen der Siebzigerjahre

Die Schülerinnen und Schüler des diesjährigen Stadtkurses stützten sich neben Zeitzeugengesprächen auch auf Publikationen aus der damaligen Zeit.

Abiturienten des Schiller-Gymnasiums haben sich im Rahmen des diesjährigen Stadtkurses mit der Dekade vor rund 50 Jahren beschäftigt. Dabei gingen sie auch einer Frage auf den Grund, die schon damals viele beschäftigte.

Bautzen. Meine Güte, stinkt es heute wieder am Albrechtsbach. Nach dem Aufwachen in der gerade frisch bezogenen ferngeheizten Neubauwohnung hat sich Olaf zu einem Morgenspaziergang entlang der Czornebohstraße, die zum Naturpark führt, aufgemacht. Beim Laufen denkt er schon an die heran nahenden Sommerferien – wird er sie hauptsächlich am Stausee oder im Spreebad verbringen? Danach gehört der Tag dem bunten Treiben des gerade stattfindenden III. Festivals der sorbischen Kultur. Und am Abend geht Olaf mit seiner Clique zur Disko in das Jugendklubhaus „Willy Mirtschin“. 
Ein durchaus denkbares Szenario, wenngleich es aus der Feder von jungen Menschen stammt, die 50 Jahre später geboren wurden als diejenigen, die es vielleicht erlebt haben könnten. „Ein Tag im Leben unserer Großeltern in den 70er Jahren in Bautzen“ – so lautet dann auch folgerichtig das Thema des diesjährigen Stadtkurses am Schiller-Gymnasium. 

„Diese besonderen Kurse gibt es an unserer Schule bereits seit 2001“, erklärt Lehrerin und Kursleiterin Ulrike Wiezorek. „Das Anliegen besteht darin, die vielen Fakten, die in den verschiedenen Fächern gelehrt werden, zusammenzuführen und am konkreten Beispiel der eigenen Heimatstadt zu verdeutlichen. So gelingt es vielleicht, eine tiefer gehende Verbundenheit zu ihr zu schaffen.“ Das Themenspektrum ist breit gefächert: So beschäftigten sich die angehenden Abiturienten früherer Jahrgänge bereits mit dem Flugplatz am Humboldthain, mit Spuren jüdischen Lebens oder der Geschichte der Gasversorgung in Bautzen. Oftmals bilden auch Jubiläen den „Aufhänger“: So stand 2010/11 das damals 100-jährige Gebäude des Landratsamtes im Fokus, 2012/13 war es das 50-jährige Bestehen des Wasserwerkes Sdier.

Nun also die 70er. Eine Dekade, für die es – anders als für die „Goldenen 20er“, die im Vorjahr Gegenstand der Betrachtung waren, immerhin noch die Möglichkeit gibt, lebende Zeitzeugen zu befragen. „Wir haben zum Beispiel mit unseren Großeltern gesprochen“, berichtet Amelie Jähne. Doch auch der Archivverbund Bautzen und das Archiv des Sorbischen Instituts boten gute Möglichkeiten zur Recherche. „Für mich war es ziemlich krass zu erfahren, wie stark die Politik damals in alle Bereiche des Lebens hineingereicht und sie beeinflusst hat“, so Amelie, die sich zusammen mit Katharina Eule mit den damaligen Plänen für die Stadtentwicklung beschäftigte. So habe es als politisch verdächtig gegolten, sich für den Denkmalschutz einzusetzen. „Schließlich wollten die Verantwortlichen eine sozialistische Stadt schaffen, bei der der Erhalt der Traditionen eher störte.“
Sophie Kallenberg beschäf-tigte sich gemeinsam mit Hanna Wagner und Josefine Grums mit dem III. Festival der Sorbischen Kultur, das laut Slawistik-Portal vom 18.bis 25. Mai 1972 stattfand. „Ich fand es erstaunlich, wie stark auch dieses Volksfest politisch angehaucht war“, erklärt sie. Neben der Recherche im Sorbischen Institut spielte bei der Recherche auch die Befragung von Zeitzeugen eine wichtige Rolle – ebenso wie beim Thema „Jugendclubhaus Willy Mirtschin“, in dessen Räumen sich heute das Steinhaus befindet. Letzteres brachte für Kursleiterin Ulrike Wiezorek einen sehr emotionalen Moment mit sich, als ein Mitglied der früheren Honky-Tonky-Band befragt wurde: „Das war gar nicht so einfach. Er hatte anfangs Schwierigkeiten, sich zu öffnen. Doch als ein gewisser Punkt erreicht war, sprudelte es aus ihm heraus.“ Bei den Zeitzeugenbefragungen gab es ohnehin sehr vielfältige Erfahrungen: „Von der totalen Verklärung und Ostalgie bis hin zur völligen Verdammnis des damaligen politischen Systems, auch aufgrund von Erfahrungen mit der Stasi, haben wir alles erlebt“, wie die Schülerinnen und Schüler berichten. „Beeindruckend war die große Diskrepanz zwischen dem, was öffentlich verlautbart wurde und dem, was die Zeitzeugen berichteten“, so Amelie Jähne. 
Und wie war das nun mit dem Albrechtsbach? Mit dieser Frage hat sich Willy Hübner beschäftigt. „Der Gestank kam hauptsächlich davon, dass der Lessinggraben nur ungenügend ausgebaut und die Kläranlage in Jenkwitz nicht so leistungsfähig war“, hat er herausgefunden. Bei Hochwasser kam noch allerhand Unrat hinzu, der von den Straßen in den Bach gespült wurde. Den heutigen Schülerinnen und Schülern bleibt der Ausruf vom stinkenden Albrechtsbach (gemeint ist wohl tatsächlich das Boblitzer Wasser, das damals im Volksmund auch als ‚Albrechtsbach‘ bezeichnet wurde und wenig später in diesen einmündet) glücklicherweise erspart … 

Service: Eine öffentliche Präsentation findet in Kooperation mit dem Archivverbund Bautzen am Dienstag, 16. Januar, 19.00 Uhr, im Saal des Steinhauses Bautzen, Steinstraße 37, statt. Es besteht die Möglichkeit, bei Snacks und Getränken miteinander ins Gespräch zu kommen. Der Eintritt ist frei, der Erlös aus dem Speisen- und Getränkeverkauf kommt den diesjährigen Abiturienten zu Gute.

Uwe Menschner / 13.01.2024

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