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Politik: Jacob Böhme deuten ganz so „wie’s gefällt“

Politik: Jacob Böhme deuten ganz so „wie’s gefällt“

Echte Ruhe und Einkehr findet man in Görlitz besonders am Grab Böhmes Foto: Klaudia Kandzia

Görlitz. Die Stadt Görlitz veranstaltet vom 8. bis 10. Oktober die 3. Internationale Jacob-Böhme-Tagung. Die Eröffnung findet am Mittwoch, den 8. Oktober, 18.00 Uhr im Kulturforum Görlitzer Synagoge statt. Nach Grußworten von Oberbürgermeister Octavian Ursu und Prof. Volker Leppin von der Yale-Universität in Connecticut wird die Publikation „Jacob Böhme. Perspektiven der Forschung“ vorgestellt. Im Anschluss folgt eine prominent besetzte Podiumsdiskussion, die Jacob Böhme aus dem 16. und 17. Jahrhundert scheinbar in die Schablone des 20. Jahrhunderts und aktuelle Politik zu zwingen versucht, denn das Leitthema lautet: „Böhme und Europa – Wohin mit dem Projekt Europa?“. Auf dem Podium diskutieren die langjährige Viadrina-Präsidentin Prof. Gesine Schwan (SPD), Arnd Henze, der lange dem ARD-Hauptstadtstudio angehörte, und Octavian Ursu unter der Moderation von Michael Ernst.

Der historischen Entkopplung aus seiner Zeit muss sich Böhme am Folgetag auch im Johannes-Wüsten-Saal des Barockhaus Neißstraße immer wieder fügen, etwa wenn um 10.00 Uhr Prof. Nikita Dhawan über „Europa in postkolonialer Perspektive“ spricht. Hinsichtlich eines Vortrages um 17.30 Uhr von Dr. Günther Bonheimräumt immerhin selbst das Programm ein: „Böhme hat sich aus dem deutschsprachigen Raum, soweit wir wissen, kaum hinausbegeben und keinerlei Kontakte ins Ausland gehabt. So entbehrt, dass er 1624 in einem Brief schreibt, seine Schriften seien ’in ganz Europa erschollen’, zu dieser Zeit noch jeder Grundlage.“

Im Johannes-Wüsten-Saal darf Böhme dann immerhin am Freitag ganz Kind seiner Zeit sein. Dr. Lucinda Martin startet hier mit Böhme als Vordenker von Menschenrechten. Hierzu heißt es: „Laut Böhme hat Gott alle Menschen mit einem göttlichen Funken ausgestattet. Daraus zieht Böhme Schlussfolgerungen über das Leben des Menschen – Ideen, die den Weg für moderne Menschenrechte ebneten.“

Externe Gäste, die sich zur Tagung und Podiumsdiskussion bis zum 2. Oktober unter museum@goerlitz.de oder telefonisch unter (03581) 67 13 55 anmelden können und hierfür auch keinen Tagungsbeitrag zahlen, würden mit einer Teilnahme am Freitag, das Pferd Europa also nicht im plakativ-politischen Selbstrausch des für die Mikrofone zelebrierten Mittwochs von hinten aufzäumen, sondern wohl weit mehr über die Herleitung der Gedankenwelt Böhmes in einer Zeit erfahren, die transzendente Erfahrungen eben nicht wie heute aus dem öffentlichen Leben faktisch ausgeschlossen hat.

Im Vorwort seiner „Aurora“ postulierte Böhme circa 1612/13 klar, dass sein Werk nicht als persönliches „Eigentum“ anderer zur Auslegung gedacht sei, sondern göttlichen Ursprungs sei: „Darum laß dir nicht einfallen, meine Schrift nach deinem Willen auszulegen oder damit zu prangen. Es ist nicht von mir, sondern von Gott durch mich gegeben, und ich darf’s nicht verkehren noch deuten, wie es mir gefällt.“

Im „Sendbriefe“ an Balthasar Walter, bekundete er einige Jahre später gar: „Ich begehre nicht, daß man meine Worte nach seinem Sinne ziehe. Wer nicht denselben Geist hat, der wird mich auch nicht verstehen; darum ist es gefährlich, damit zu rechten oder zu spotten.“ Walter erfährt in dem Brief von Böhme auch: „Du suchst in der Fremde, was in deinem Hause ist. In deinem Inneren ist die Quelle der Weisheit verborgen, da wirst du alles finden, was du suchest.“

Der Freitag schließt jedenfalls um 12.30 Uhr mit einer Führung durch die Sonderausstellungen „Die Gesichter Jacob Böhmes“ und „Durch Jacob Böhme zum Seelenheil“, womit Böhmes Werk auch visuell und kulturhistorisch kennengelernt werden darf. Das Finden indes wird eher weniger im Museum oder dem Johannes-Wüsten-Saal stattfinden und wohl erst recht nicht im Kulturforum Görlitzer Synagoge – dies gibt es nur im Inneren selbst.

Till Scholtz-Knobloch / 29.09.2025

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Kommentare zum Artikel "Politik: Jacob Böhme deuten ganz so „wie’s gefällt“"

Die in Kommentaren geäußerten Meinungen stimmen nicht unbedingt mit der Haltung der Redaktion überein.

  1. Tomek schrieb am

    Unken würden unken: Wess Brot ich ess, des Lied ich sing. Wenn nun mal in den Förderrichtlinien steht, dass irgendwie Europa (also Uschis Reich) zu huldigen ist, dann musst du eben das Veranstaltungsprogramm entsprechend "gestalten". Sonst bekommst du kein Geld überwiesen, oder, wenn es ganz hart kommt, Besuch von "Gegendemonstranten".

    Wie gut, dass ich keine Unke bin. (Wissenshäppchen: Eine Unke ist keine Kröte, auch wenn beide zu den Froschlurchen gehören und eine warzige Haut haben.)

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