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Schon 1918 war Görlitz in der Flussmitte geteilt

Schon 1918 war Görlitz in der Flussmitte geteilt

Zwischen Polnisch Görlitz bzw. Groß Görlitz (Gierloz Polska) und Görlitz (Gierloz) verlief in der Zwischenkriegszeit die deutsch-polnische Grenze in der Bachmitte. Foto: Oliver Rettig

Hätten Sie’s gewusst? Schon nach dem 1. Weltkrieg lag Görlitz beiderseits der Fluss- bzw. in diesem Falle beiderseits der Bachmitte in zwei Staaten. Natürlich geht es um ein anderes Görlitz. Aber wo liegen eigentlich die übrigen Görlitze?

Die meisten größeren deutschen Städte können auf mehr oder weniger Ortsnamen in Übersee verweisen, die durch Auswanderer in die Neue Welt getragen wurden. Dies ist im Falle der Neißestadt allerdings nur für den Weiler „Gorlitz“ in der kanadischen Provinz Saskatchewan bekannt. Die Siedlung mit etwa einem Dutzend bewohnten Gebäuden wurde 1893 von dem Siedler Karl Gebek in Erinnerung an die Heimat so benannt. Mitbegründer Paul Barschel, der im nahem Nieder Langenau (Dluzyna Dolna) bei Penzig (Piensk) zur Welt kam, brachte es immerhin bis zum Bürgermeister der nahe gelegenen Stadt Canora.

Im Gegensatz zu vielen anderen deutschen Ortsnamen dürften die Ö-Punkte ein Grund gewesen sein, dass der Name Görlitz in Nordamerika wenig Konjunktur entwickeln konnte und so fehlen diese Umlautzeichen ja auch bei Gorlitz in Saskatchewan einfach.

Hingegen führt die slawische Herkunft des Stadtnamens dazu, dass oft mit gleicher Herleitung auch andere Orte mit dem Namen Görlitz oder phonetisch ähnlich benannte Siedlungen entstanden sind. Görlitz’ Ortsname geht auf das altsorbische Wort „Gorelic“ zurück, das sich wiederum aus dem Verb „goreti“ ableitet – es bedeutet „brennen“ oder „verbrannt sein“. Daraus ergibt sich die sinngemäße Bedeutung: „Ort auf verbranntem Land“ oder „Brandstätte“.

Görlitz’ Ersterwähnung 1071 kündet von der Überlassung der villa Goreliz – also dem Dorf Görlitz – von König Heinrich IV. an das Bistum Meißen. Die Siedlung entstand also auf einer Rodungs- oder Brandfläche, was auch in der etwa späteren mittelalterlichen deutschen Ostkolonisation gängige Praxis wurde. Diese erste Siedlungsfläche muss sich in etwa zwischen der heutigen Peterskirche und der Altstadtbrücke befunden haben. Diese Namensherleitung von Görlitz kann man altslawisch auch für das 1951 zu Breslau eingemeindete Görlitz (Zgorzelisko) sowie für Görlitz im Kreis Glogau (Glogow) heranführen, das polnisch Ogorzelec heißt und heute im Landkreis Polkwitz (Polkowice) – 1937 bis 1945 in Heerwegen unbenannt – liegt.

Die polnische Benennung unseres großen Görlitz an der Lausitzer Neiße – Zgorzelec – trägt übrigens auch ein kleines Dorf, das zur Gemeinde Reichtal (Rychtal) gehört. Auf Deutsch heißt es jedoch nicht Görlitz, sondern dem ähnlich Sgorsellitz. Das klang den Nazis scheinbar zu slawisch, so dass 1939 eine Umbenennung in Brandetal erfolgte. Immerhin war die Brandrodung also namentlich erkennbar. Das Reichtaler Ländchen mit seinen einst knapp 4.500 Einwohnern ist historisch ein Teil Niederschlesiens, kam jedoch nach dem Ersten Weltkrieg mit seiner gemischt deutsch-polnischen Bevölkerung zum neuen polnischen Staat. Darüber ist dieses schlesische Randgebiet im großpolnischen Landkreis Kempen (Kepno) geblieben und gehört auch heute nicht der Woiwodschaft Niederschlesien, sondern der Woiwodschaft Großpolen an.

Die Überschrift dieses Textes findet seine Berechtigung im nächsten Görlitz, das es – wie unsere Stadt an der Neiße auch – in doppelter Ausfertigung gibt. 

Das Kuriose ist, dass zwischen „Groß Görlitz“ (Gierloz Polska) – vor 1920 mit Namen Polnisch Görlitz – und „Görlitz“ (Gierloz) sowie seinen zugehörigen Siedlungen Neu-Görlitz (Nowa Gierloz) und Forsthaus Alt Görlitz (Stara Gierloz) die nach dem Ersten Weltkrieg gezogene Reichsgrenze verlief. Die hier genannten Orte Groß Görlitz und Görlitz haben mit dem an der Neiße gelegenen Görlitz zumindest also historisch eine Grenzlage gemeinsam. Kurios ist dabei auch, dass Groß Görlitz als Kreisstadt Löbau hatte – allerdings Löbau in Westpreußen (Lubawa). Bei uns an der Neiße ist es umgekehrt und Löbau gehört zum Kreis Görlitz. Doch zurück zum „Doppeldorf“. Der Grießlerbach (polnisch Gizela) bildete zwischen Groß Görlitz bzw. Polnisch Görlitz und Görlitz zunächst die Grenze zwischen den preußischen Provinzen Ost- und Westpreußen und nach dem Ersten Weltkrieg dann zwischen dem deutschen Ostpreußen und Polen. Heute stellt dieses Fließ innerhalb der Woiwodschaft Ermland-Masuren nur noch eine Gemeindegrenze dar. Und um die Verwirrung perfekt zu machen: Es gibt auch noch ein anderes Görlitz, – einst Preußisch Görlitz oder auch Forsthaus Görlitz – das auf Polnisch ebenfalls Gierloz heißt und im Kreis Rastenburg (Ketrzyn), also ebenfalls in Ostpreußen bzw. der Woiwodschaft Ermland-Masuren, gelegen ist.

In all diesen Fällen dürfte sich der Namensursprung hier jedoch aus der mit Litauisch und Lettisch verwandten Sprache des Pruzzischen herleiten. „Gerulis“ bedeutete „kleiner Wald“, die Ableitung deutet auf eine Lichtung hin.

Schaut man in den Süden Polens stößt man neben diesen Dörfern in Ermland-Masuren auch auf die heutige Kreisstadt Gorlice bei Krakau – also in Kleinpolen. 1354 wurde Gorlice durch Derslaus de Karwa-czan, einen Ritter armenischer Herkunft im Dienste der polnischen Krone für gemischt deutsche, polnische, ruthenische und armenische Siedler als Gorlitz gegründet und in polnischer Verkleinerungsform auch als Gorlitzcze bezeichnet. Darunter waren auch Siedler aus der Oberlausitz und Schlesien, ein namentlicher Zusammenhang zu Görlitz gilt aber als spekulativ. Zu österreichischer Zeit schlich sich ab dem 18. Jahrhundert jedenfalls das Ö in der Form Görlitz ein. In dieser Namensform blieb das jedoch eher offiziellen Dokumenten vorbehalten – wohl auch weil es zu Verwechselungen mit Görlitz an der Neiße gekommen sein dürfte. Zu dieser Zeit waren die einstigen deutschen Siedler in Kleinpolen übrigens weit mehrheitlich sprachlich längst im Polnischen aufgegangen. Aber auch andere Ortsnamen wie Lancut (Landshut) oder Nowy Sacz (Neusandez) erinnern noch an einstige Stadtgründungen unter federführender Beteiligung von Deutschen in Kleinpolen.

Revolutionäre Ergebnisse neuer Geschichtsforschung

Wer übrigens einen langen Gegensatz von Germanen und Slawen in der Frühgeschichte bis zum Mittelalter sucht, der wird durch ganz aktuelle Forschungsergebnisse ohnehin widerlegt. Demnach hätte sich das Slawische sprachlich nicht wie lange vermutet durch Migration aus den Tiefen Osteuropas entfaltet, sondern über lange Kontakt- und Austauschprozesse in lokalen Gemeinschaften mit romanischen, germanischen und iranischen Einflüssen. Genanalysen zeigen mittlerweile eine bemerkenswerte genetische Kontinuität in Mitteleuropa – auch in Schlesien und der Lausitz –, die bis in die Bronzezeit zurückreicht. Die einstige Slawisierung war also eine kulturell-linguistische und ging nicht mit einem Bevölkerungsaustausch einher!

Die slawische Besiedlung setzte nicht durch Invasion ein, sondern entwickelte sich aus spätantiken Bevölkerungsschichten, etwa aus Resten der Vandalen oder Sueben, die mit ostslawischen Gruppen in Kontakt traten. Damit geht auch die Schärfe in der Frage verloren, ob Schlesien nach dem vandalischen Teilstamm der Silingen benannt ist oder nach slawischen Slensanen. Der Mythos der „Leeren Länder“ nach germanischer Abwanderung gilt damit nun als überholt. Vielmehr blieben zahlreiche Menschen, die sich in sprachlicher Weise zu Slawen entwickelten. Eine Rolle spielte dabei auch, dass slawische Siedlungsmodelle neue Formen extensiver Landwirtschaft mit Wanderfeldbau und Brandrodung einbrachten – Methoden, die im damaligen Klimawandel Effizienz und Anpassungsfähigkeit einbrachten. Lokale nachrömische und germanische Restbevölkerungen übernahmen diese Techniken, weil sie praktisch überlegen waren – etwa bei Getreideanbau oder Viehhaltung auf wenig erschlossenen Böden. Die Brandrodung, die Görlitz zu seinem Namen verhalf, fällt in die Spätphase dieser Entwicklung.

Till Scholtz-Knobloch / 09.08.2025

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