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Wie Rentner unseren Arbeitsmarkt stabilisieren

Wie Rentner unseren Arbeitsmarkt stabilisieren

Die Agentur für Arbeit Bautzen in der Neusalzaer Straße 2 in Bautzen steht Arbeitgebern mit spezialisierten Teams zur Verfügung, um ältere Kollegen im Unternehmen zu halten. Foto: Uwe Tschirner

Bautzen / Görlitz. Die Zahlen klingen erstmal gut: 19.183 Arbeitslose in den Landkreisen Bautzen und Görlitz – ein Minus von drei Prozent zum Vorjahr. Über 4.200 gemeldete offene Stellen – ein Plus von 28 Prozent.

Doch hinter diesen nüchternen Novemberzahlen verbirgt sich eine viel tiefgreifendere Entwicklung, die unsere Arbeitswelt fundamental verändert.

„Ich habe mich sehr erschrocken, als ich die Prognose bis 2040 das erste Mal gehört habe“, gesteht Anna Metz, die Geschäftsführerin Operativ bei der Agentur für Arbeit in Bautzen. Bis dahin wird die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter in den beiden Landkreisen Bautzen und Görlitz um 18 Prozent schrumpfen – das ist rund jeder Sechste.

Der stille Boom der Silver Worker

Die Antwort auf diese demografische Herausforderung ist bereits in vollem Gange: Über 8.100 Menschen arbeiten in Ostsachsen bereits heute über die Regelaltersgrenze hinaus. 1.636 davon in sozialversicherungspflichtigen Jobs, 6.548 als Minijobber. Besonders beeindruckend: Die Zahl der Experten über 67 ist um 76 Prozent gestiegen, bei den Frauen sogar um 74 Prozent.

„Diese Menschen bringen eine unheimliche Produktivität mit sich“, betont Anna Metz. „Sie fördern den Teamzusammenhalt, begleiten Azubis mit ihrer Lebenserfahrung und sind ein Mehrwert in jedem Betrieb.“
Doch warum arbeiten sie eigentlich weiter, wenn sie doch eigentlich im Ruhestand sein könnten? Die Antwort der Expertin überrascht: „Bei den Menschen, die über die Altersgrenze hinaus erwerbstätig sein wollen, überwiegt tatsächlich die Freude an der Arbeit, das Gefühl gebraucht zu werden, den Purpose für die Gesellschaft zu bringen.“ Zwar spielten auch finanzielle Gründe eine Rolle, aber der Wunsch nach sozialen Kontakten und sinnvoller Beschäftigung sei entscheidender.

Mentalitätswandel in den Betrieben gefordert

Doch eine Hürde bleibt: Viele Arbeitsverträge enden automatisch mit dem Renteneintritt. „Da geht es wirklich um die Denke der Arbeitgeber“, so Metz. „Wir sollten offener darüber sprechen, dass Ältere ein sehr hohes Potenzial haben und das nicht da so abtun: ’Die Alten, das sind die, die nicht mehr liefern können und die auch nicht wissen, wann ihr Wissen überholt ist.’“

Stattdessen brauche es einen Mentalitätswandel hin zum „Kompetenzerhaltungsdenken“. „Die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer sollten frühzeitig miteinander ins Gespräch gehen um einfach auch abzuklären und auch darum zu werben, dass der ältere Kollege noch etwas bleibt.“

Unterstützung für Unternehmen

Die Agentur für Arbeit bietet konkrete Hilfe an: „Ja natürlich, wir können da unterstützen. Wir haben da mehrere ausgebildete Mitarbeiter oder spezialisierte Teams dafür“, sagt Metz. Vom technischen Berater für altersgerechte Arbeitsplatzgestaltung – „was so Arbeitsplatzgestaltung ist, welcher Stuhl ist gut, wie muss das ausgestattet sein“ – bis zur Qualifizierungsberatung.

Besonders im Fokus: Gesundheits- und Sozialwesen, verarbeitendes Gewerbe und Handel – die Branchen mit den meisten älteren Beschäftigten.

Ausblick in die Zukunft

Die Entwicklung ist nicht mehr aufzuhalten. Während die einen früher in Rente gehen wollen – „52 Prozent möchten mehr Zeit für sich selbst haben“ – planen andere bewusst länger zu arbeiten. Die Silver Worker werden zum festen Bestandteil unseres Arbeitsmarktes.

„Es ist ja nicht immer die Vollzeitkraft“, schlägt Metz vor. „Sondern durchaus punktuelle Unterstützungen oder in reduzierter Arbeitszeit. Man kann sich ja auch Arbeitsplätze teilen.“ Mit 37 Prozent aller Minijobber, die bereits Senioren sind, ist dieser Trend ohnehin nicht mehr zu übersehen.

Auf die Frage, ob wir in zehn Jahren selbstverständlich bis 70 oder länger arbeiten werden, antwortet die Expertin persönlich: „Da getraue ich mir tatsächlich keine Prognose. Ich bin da selbst gespannt. Ich habe theoretisch noch 20 Jahre vor mir und ich warte ab.“ Doch fügt sie hinzu: „Aktuell kann ich mir das vorstellen.Und wenn es in Teilzeit ist, das ist ja auch eine Möglichkeit, das Wissen zu erhalten.“

Eines steht fest: Die Rentner von heute sind längst nicht mehr nur die Ruheständler von gestern. Sie sind die erfahrenen Fachkräfte, die den Arbeitsmarkt in Ostsachsen am Laufen halten – und ohne die, die demografische Lücke noch sehr viel größer wäre.

Uwe Tschirner / 16.12.2025

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