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Die Oberlausitz misst das Wackeln des Alls

Die Oberlausitz misst das Wackeln des Alls

Bis das „Kahlbaumgelände“ Görlitz renoviert ist, hat der Großteil der Mitarbeiter seinen Sitz am Görlitzer Postplatz. Gründungsdirektor Prof. Günther Hasinger residiert über dem Eingang der Hauptpost am Görlitzer Postplatz. Foto:Witschas/TUD/DZA

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Günther Hasingers neues Buch erscheint am 18. September.

Die Oberlausitz begegnet in ganz großen Dimension des Alls dem Strukturwandel. Bei Bautzen spielt der Granitboden dabei eine wichtige Rolle, der Großteil von 1.000 geplanten Mitarbeitern des Deutschen Zentrums für Astrophysik (DZA) wird in Görlitz forschen. Günther Hasinger berichtete Till Scholtz-Knobloch vom Wackeln des Alls, vom Feinkostmangel in Görlitz und seiner Rolle bei den Passionsfestspielen in Oberammergau.

Prof. Hasinger, haben Sie die strukturpolitische Entscheidung für Görlitz schon einmal verflucht? Sie sind von uns ja schon einmal stehend im Zug von Cottbus abgelichtet worden und am ‚Rande der Republik‘ gilt es ja allgemein erst einmal neue Leute auch „bei Laune“ zu halten.

Günther Hasinger: Verflucht kann man so nicht sagen. Wir haben uns ja anfangs in Görlitz verliebt, aber das Leben hier mit meiner Frau zusammen ist doch nicht ganz so einfach, wie man es sich so vorstellen würde – wir sind noch viel auch unterwegs Richtung Berlin und München. Auch wegen unserer Familie und den Kindern.

Wir haben nun den hundertsten Mitarbeiter gewonnen, aber der Standort bei aller Schönheit der Stadt, hat auch Tücken. Bei unserer großen Konferenz mit über 600 Leuten überzeugte Görlitz alle, aber die Verkehrsanbindung ist ein Thema. Es geht nicht nur darum, dass man dieselbespannt fährt, sondern Gleise eingleisig verlaufen.

Jede Verzögerung auf der Strecke macht sich sofort bemerkbar. Das Schlimmste ist gar nicht der Trilex, den habe ich eigentlich lieben gelernt – auch wenn ich stehen muss. Aber die Strecke Dresden – Leipzig ist immer verflucht. Das Verkehrsgeschehen ist deutlich anstrengender, als wir uns das gedacht haben.

Sie sagten kürzlich, mit dem James-Webb-Weltraumteleskop beginnt ein goldenes Zeitalter der Astronomie. Nun arbeiten Sie in Görlitz mit der Erkundung von Gravitationswellen anders als etwa die größten Teleskope in den Anden, auf Hawaii oder in Südafrika. Was passiert in Görlitz?

Günther Hasinger: Das James-Webb-Teleskop ist natürlich ein fantastischer Erfolg gewesen. Ich hatte in meiner Zeit bei der ESA (Europäische Weltraumagentur) noch das Glück, dass ich das selber starten durfte und auch einige Beobachtungen damit machen konnte. Aber diese goldene Zeit bezieht sich nicht nur auf das James-Webb-Teleskop, sondern auf die Schwelle, völlig neue Fenster aufzuschließen. Astrophysik funktioniert heute mit allen Sinnen – man sieht nicht mehr nur mit dem Auge, sondern kann auch Radio- oder Röntgenstrahlung aufnehmen. Und jetzt kommt eben immer mehr dazu, dass wir jetzt das Universum auch hören können. Der Film hat plötzlich einen Ton bekommen. Und dieser Tonfilm wird die nächsten Dekaden dominieren.

Und der versiegelnde Untergrund der Oberlausitz ist hier das entscheidende Kriterium?

Günther Hasinger: Im sorbischen Dreieck zwischen Kamenz, Bautzen und Hoyerswerda sind wir großflächig unterwegs. Wenn man das ‚Wackeln‘ des Weltalls hören möchte, dann muss man sämtliche anderen Wackelquellen irgendwie ausschließen. Entweder kann man dafür ins Weltall hinausgehen – die Europäische Raumfahrtagentur baut im Moment ja ein Satellitentrio, das in zweieinhalb Millionen Kilometern Abstand voneinander die Wellen misst. Oder aber, man misst die Gravitationswellen auf der Erde und hierfür muss man vor allem das Wackeln der Erde selbst reduzieren. Wir gehen 200 Meter tief in die Erde der Oberlausitz, wo die ganzen menschengemachten Störgeräusche so stark abgesenkt sind, dass das lauteste Geräusch, das wir dort unten hören, das Meeresrauschen ist.

Wir haben hier einen einzigartigen Schatz entdeckt, einen Granitblock mit 20 Kilometern Durchmesser – anfangs dachten wir, der sei 10 Kilometer groß. Nun wissen wir durch Untersuchungen, dass dieser Block praktisch fast ungebrochen südlich von Hoyerswerda bis fast nach Bautzen reicht – und wo jetzt genau innerhalb dieses Granitblocks das Untergrund-Labor, das müssen wir noch genau herausfinden. Entscheidend werden Faktoren sein wie Risse, wie das Wasser läuft, wie stark Störungen von außen wirken. Wir sehen dabei jedes Erdbeben, was sich auf der Welt sozusagen ansammelt. Wir hören die sorbischen Osterreiter mit unseren Seismometern.

Sie sind quasi volkstumserfahren – sollen als Sechsjähriger bei den weltbekannten Passionsspielen in Oberammergau teilgenommen haben.

Günther Hasinger: Es gibt dort zwei Massenszenen, bei denen das halbe Dorf auf die Bühne kommt. Die eine ist morgens, wenn Jesus auf seinem Esel durch das Goldene Tor in Jerusalem einreitet und alle jubeln; die nächste ist nachmittags vor Pontius Pilatus. Die Kinder selber dürfen allerdings nur in der ersten Massenszene dabei sein. Sprich – ich war einmal mit meinem Onkel auf der Bühne.

Der Physiker Archibald Wheeler betonte, das Universum höre auf zu existieren, wenn es nicht beobachtet wird. Das bekannte „Doppelspaltenexperiment“ belegte gar, dass sich Teilchen wie Wellen verhalten – solange niemand hinschaut. Sobald wir aber messen verhalten sie sich wie Teilchen, also Materie. Die Quantenphysik zerlegt unsere Wahrnehmung und stellt die große Frage nach dem Wesen von Realität, Bewusstsein und letztlich Gott. Sie haben selbst einmal gesagt, Gott sei die Kraft aus dem Nichts. Findet man in der heutigen Wissenschaft also doch zurück zum Metaphysischen?

Günther Hasinger: Der Bogen lässt sich noch weiter spannen. Nehmen wir einmal ganz profan Geld: Wenn Sie als Kind 10 Pfennig Taschengeld haben, dann wissen Sie genau, wie viel das wert ist. Und wenn Sie älter werden haben Sie schon mal eine Mark. Wenn Sie noch älter werden, dann kriegen Sie irgendwie 10 oder 100 Mark. Ich spiele jetzt sozusagen in einer Liga, wo man Milliarden umsetzt. Und man kann sich vieles einfach nicht mehr vorstellen. Ich weiß noch, dass die Sonne acht Minuten von uns entfernt ist und der nächste Stern vier Jahre. Wenn es darum geht, sich Lichtjahre oder Milliarden von Lichtjahren vorzustellen, dann brechen unsere täglichen Anschauungen einfach zusammen.

Das menschliche Gehirn ist so etwas wie ein Computer, der analysiert. Insofern denke ich, kann man ein astronomisches Sensorsystem, also ein Teleskop, und den Menschen ungefähr vergleichen. Dieser Computer macht nichts anderes, als dass er immer das, was er wahrnimmt, mit dem vergleicht, was er schon einmal gesehen hat. In unserem Gehirn werden sozusagen Erfahrungen, Erkenntnisse abgelegt. Wenn ich eine Spinne sehe, dann weiß der Körper sofort, okay, jetzt muss ich laufen. Wenn man etwas anschaut muss das Gehirn erst einmal interpretieren. Das heißt: Ich glaube tatsächlich, wenn man es so weit runter bricht, dass die Wirklichkeit immer nur in unseren Köpfen entsteht.

Sie sprechen von 1.000 Mitarbeitern beim DZA bis 2038. Wird denn wirklich die Masse davon über Datenmengen brüten?

Günther Hasinger: Wir haben einen Dreiklang zwischen Astrophysik, Technologieentwicklung und Datenwissenschaften (Prof. Hasinger holt ein Triangel aus der Schublade). Wenn man den Triangel schlägt, dann klingt der harmonisch. Wenn ich dieselbe Eisenstange hernehme und auseinanderbiegen würde und an die klopfe, dann ist die völlig unharmonisch. Der Triangel klingt deswegen so schön, weil es zwischen den verschiedenen Wellen, die dort entstehen, ein stehendes Wellenmuster gibt, was sich im Inneren des Triangels sozusagen aufschaukelt. Das ist für mich das Bild zum Dreiklang Astrophysik, Technologieentwicklung und Digitalisierung. Jedes für sich ist ein fantastisches Forschungsgebiet, für jedes könnte man ein eigenes Institut schaffen. Aber dadurch, dass wir die drei in diesem Triangel zusammen haben, können die anfangen miteinander zu schwingen und sich gegenseitig zu befruchten. Deswegen haben wir Leute, die nicht nur vor Computern sitzen, wir haben eben auch Leute, die schrauben und löten und bohren und Instrumente bauen und wir haben auch solche, die einfach aus rein theoretischen Betrachtungen heraus Algorithmen entwickeln, um Daten-Tsunamis Herr zu werden.

Sie sind 71 Jahre alt und in der Oberlausitz bringen Sie Ihren ganzen wissenschaftlichen Wissensschatz zusammen. Wie lange ist dieser ’Start’ für Sie und was fehlt einem Kosmopolit wie Ihnen in der Oberlausitz dann doch?

Günther Hasinger: Uns fehlt ein Feinkostladen, bei dem meine Frau und ich alles bekommen, was wir in der Welt kennengelernt haben (lacht). Das müssen wir immer wieder aus Berlin oder München einführen. Als sich verdichtete, dass ich die Aufgabe in Görlitz annehme, saßen wir noch in Spanien – da war ich auch schon 68. Ich habe damals aber auch gesagt, ich mache das maximal fünf Jahre. Mit 75 will ich tatsächlich die Segel streichen. Ob es dann nach Berlin, München oder woandershin geht, ist familienintern gerade ein heißes Thema.

Ihre Expertise gibt es aber quasi für jedermann. Sie haben also noch Gelegenheit für Ihr neues Buchprojekt zu werben.

Günther Hasinger: Ich habe ja 2007 das Buch ’Das Schicksal des Universums’ geschrieben. Dies hatte als Buch des Jahres den Wissenschaftspreis bekommen. Aber 2007 ist halt jetzt schon sehr, sehr lange her. Es sind so viele Dinge passiert mit dem James-Webb-Teleskop und mit vielen Nobelpreisen. Und nun kommt am 18. September bei C.H.Beck Wissen mein Taschenbuch „Geschichte des Universums“ raus.

Till Scholtz-Knobloch / 13.09.2025

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