Politisches Taktieren und selektive Rechtsprüfung?

Auf rechter Seite des Tagungssaals nahmen nur zwei Räte der Linken Platz. Foto: Till Scholtz-Knobloch
Landkreis Görlitz. Bizarre Bilder brachte der 29. Oktober. Etwa eine halbe Stunde vor Beginn der Sondersitzung des Kreistages demonstrierten vor dem Tagungsort in der Berliner Straße zwei Dutzend Menschen – augenscheinlich mehrheitlich Rentner – gegen Militarisierung, während die Redaktion auf anderer Straßenseite der Versammlung genau zwei Dutzend Polizisten zählte, die das ganze wohl absicherten. Die Kollegen nicht mitgezählt, die gerade in Einsatzwagen die Straße entlang fuhren und im hier ansässigen Dönerladen anstanden, um so dem Fehlen einer echten Aufgabe zu trotzen.
Etwa eine halbe Stunde später eröffnete Landrat Dr. Stephan Meyer die Sitzung und wünschte zunächst allen erkrankten Kreisräten alles Gute, bemerkte aber, dass es so viele dann doch wahrscheinlich nicht wirklich erwischt haben dürfte. Sechs Minuten später, um 16.08 Uhr, schloss er die Versammlung wegen fehlender Beschlussfähigkeit.
Zum Hintergrund: Am 1. Oktober hatte der Görlitzer Kreistag mehrheitlich beschlossen, auf Werbung für Militärdienst und Rüstungsprodukte im Landkreis unter seiner Ägide zu verzichten. Es solle ein Werbeverbot auf kreiseigenen Gebäuden, Fahrzeugen und bei vom Kreis unterstützten Veranstaltungen geben. Die Entscheidung wurde möglich, da sie von AfD, Freien Sachsen und BSW-FWZ unterstützt wurde, wodurch die bisher übliche CDU-Mehrheitsblockade durchbrochen war. Stephan Meyer widersprach dem Beschluss, da Werbung für den Militärdienst in die ausschließliche Zuständigkeit des Bundes falle und der Beschluss daher rechtswidrig sei. Zudem kritisierte er unbestimmte Begriffe im Beschluss sowie die mögliche Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes und berief zur letztlich gescheiterten Sondersitzung für den 29. Oktober ein.
Im Anschluss an den Beschluss, wie auch nach dem 29. Oktober, hob Meyer betont moralisierend hervor, dass die Aktion nun unnötigerweise 8.000 Euro koste. Das als solches scheint überhöht, denn Sitzungsgelder vom 29. Oktober dürften wohl an auch nur ganze zwölf Räte aus Reihen der Union ausgezahlt werden können, an zehn der Freien Wähler, vier Räte aus Bündnisgrüne/KJiK/SPD, zwei vom Bündnis Oberlausitz/Freie Sachsen, zwei der Linken sowie Marcel Borkowski, der als einziger vom BSW zugegen war. Ganze 31 der 86 Kreisräte waren erschienen, die rechte Saalseite mit Ausnahme der beiden Linken blieb damit komplett leer.
Per Pressemitteilung noch am 29. Oktober ließ Stephan Meyer wissen: „Die kurzfristigen zahlreichen Entschuldigungen zur Sitzung erwecken einen befremdlichen Eindruck. Es wäre für mich ein unverantwortliches Demokratieverständnis, wenn Teile des Kreistages durch bewusstes Fernbleiben verhindern, dass ein rechtswidriger Beschluss korrigiert werden kann. Als Landrat bin ich verpflichtet, rechtswidrigen Beschlüssen zu widersprechen – das ist kein politisches Ermessen, sondern eine gesetzliche Pflicht.“ Meyer subsumierte „politisches Taktieren“ und setzte sich eben diesem Vorwurf selbst aus.
Der stellvertretende Vorsitzende der Fraktion BSW-FWZ, Thomas Göttsberger, hatte im 1. Anlauf gegenüber dem Niederschlesischen Kurier bereits betont, dass Landrat Meyer den auf die CDU zurückgehenden problematischen Beschluss zur dauerhaften Beflaggung öffentlicher Gebäude nicht angefochten habe. „Während Landrat Meyer den Werbeverzicht-Beschluss anfechtet, hat er den CDU-Antrag auf dauerhafte Beflaggung aller öffentlichen Gebäude und Schulen im Landkreis, der laut § 15 (4) der Kreistagsgeschäftsordnung einen fehlenden Finanzierungsvorschlag aufweist und rechtlich problematisch ist, nicht beanstandet“, und dies obwohl Göttsberger bereits in einer Ausschusssitzung auf diese Rechtslage hingewiesen habe. Diese gesamte Problematik fehlte dann jedoch in Meyers Pressemitteilung vom 29. Oktober komplett.
Die Fraktion BSW/FWZ erklärte dann auch am 30. Oktober noch einmal einhellig: „Landrat Dr. Stephan Meyer hat am 29. Oktober in sozialen Medien betont, er sei verpflichtet, rechtswidrigen Beschlüssen des Kreistages zu widersprechen. Dies sei keine politische Entscheidung, sondern eine gesetzliche Pflicht. Umso unverständlicher ist jedoch, dass der Landrat beim Beschluss des Kreistages vom 1. Oktober 2025 nicht entsprechend gehandelt hat. (...) Wenn der Landrat seine eigenen Grundsätze ernst nimmt, muss er den Beschluss des Kreistages vom 1. Oktober 2025 zur Beflaggung landkreiseigener Liegenschaften nun unverzüglich beanstanden. Rechtsstaatliche Prinzipien dürfen nicht selektiv angewandt werden.“
Nicht allein das BSW beklagte ein Taktieren des Landrates ferner dadurch, dass der Sitzungstermin vom 29. Oktober bewusst gewählt sei, um durch zeitgleiche Gremiensitzungen anderenorts die Teilnahme so zu beeinflussen, dass im zweiten Anlauf das erhoffte Ergebnis endlich eintritt. Der MDR zitierte Hajo Exner als Fraktionsvorsitzenden der 31 komplett fehlenden AfD-Räte mit den Worten: „Der Landrat hätte den Termin mit dem Ältestenrat abstimmen müssen.“
In der Pressemitteilung des Landrates vom 29. Oktober ist der dritte Anlauf schon fixiert – eingebunden in eine ’gewöhnliche’ Kreistagssitzung, was ein erneutes Desaster wohl verhindern soll. „Die erneute Befassung mit dem Beschluss wird voraussichtlich am 10. Dezember 2025 im Zuge der bereits geplanten Kreistagssitzung erfolgen. Hierfür ist dann die Anwesenheit von drei Kreistagsmitgliedern erforderlich“, heißt es darin.
