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Verantwortungsgefühl, das einfach nicht endet

Verantwortungsgefühl, das einfach nicht endet

Gert Freudenberg kann nicht von seiner Backstube in Sproitz lassen. Foto: Till Scholtz-Knobloch

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Auch mit 78 Jahren hält Gert Freudenberg das ganze Inventar stetig in Betrieb. Foto: Till Scholtz-Knobloch

Seit über fünf Jahrzehnten steht er im Dienst des Brotes – und noch heute gibt der 78-jährige Bäckermeister Gert Freudenberg nicht auf. Da seine Söhne die Bäckerei nicht übernehmen werden, macht er einfach weiter mit der Arbeit ... in der Hoffnung, dass doch noch ein Nachfolger den Betrieb übernimmt.

Sproitz. Eigentlich sollte doch mit 78 Jahren mit der Arbeit mal Schluss sein – das würden die meisten Menschen unterschreiben. Bäckermeister Gert Freudenberg lässt sich jedoch nicht beirren und ist gerade dieser Tage besonders umtriebig. Da in der Familie neben der Bäckertradition auch stets die Landwirtschaft eine Rolle spielte, verband er einfach beides miteinander und machte sich auch einen Namen damit, warme und kalte Büffets, Suppen, Salate, Desserts im Catering neben Kuchenplatten, Torten oder Brotkörben anzubieten – sogar per Freihauslieferung. Und da in Kürze manche Einschulungsfeierlichkeiten anstehen, ist dieser Tage bei ihm der Andrang groß. Zwar ist der Laden nicht mehr täglich geöffnet, aber die Sproi-tzer wissen ja, dass sie einfach nur die Augen offenhalten müssen, ob Gert Freudenberg ums Haus schleicht oder es in der Backstube klappert. Freitagmittag jedoch macht er regelmäßig den Laden auf und dann gehen auch viele vorgebackene Brötchen über den Ladentisch, die schockgefroren auch noch knusprig sind.

„Ich habe 1971 meinen Meister gemacht und im selben Jahr meinen ersten Betrieb eröffnet – auf der Rothenburger Straße in Niesky, in der ehemaligen Bäckerei Jeschke. Heute ist dort der Friseur Sybille“, erinnert sich Gert Freudenberg, in dessen Familie schon vor dem Krieg Backwaren in Lauban (Luban) verkauft wurden.

1971 sei die Stimmung ähnlich gewesen wie heute, stellt er fest: „Der untere Mittelstand sollte durch die Industrie ersetzt werden.“ Dennoch erhielt er zu DDR-Zeiten seinen Gewerbeschein – zunächst skeptisch beäugt wegen der „Größe“ seines Unternehmens mit fünf Beschäftigten.

Als er die Bäckerei kaufen wollte, blieb ihm dieser Weg jedoch verwehrt. Doch dann öffnete sich eine Tür: „Die Brüdergemeinde bot mir die freiwerdende Bäckerei am Zinzendorfplatz an. Ich hatte noch ein Jahr Pacht offen, doch selbst das wurde übernommen – von der gleichen Instanz, die mir vorher den Schein fast verweigert hätte.

Für ihn ein Zeichen, dass selbst politische Systeme zur Einsicht gelangen können, wenn es um den Wert des Mittelstandes geht.

Der Weg in den 80er-Jahren war schleppend. „Die Meinungsfreiheit wurde unterdrückt, die Politik hatte das Sagen. Wenn wir Verwandte im Westen trafen, sagten die oft, wir seien in vielen Dingen zurückgeblieben. Meine Antwort war: Wir haben eure Kriegsschulden mitbezahlt – den Krieg hat ganz Deutschland begonnen.“

Mit der Wende kam der Aufschwung – zumindest für eine Weile. Heute allerdings sieht er Parallelen zur Vergangenheit: „Wir erleben wieder die gleiche Entwicklung. Der Kleinunternehmer wird abgewürgt, die Industrie bevorzugt. Politiker handeln zunehmend als Lobbyisten der Großkonzerne. Wir, der kleine Mittelstand, müssen die Suppe auslöffeln – mit Energiepreisen, Steuern und Löhnen, die kaum zu stemmen sind.“ Mit dem Aus der Nord-Stream-Gaslieferungen und explodierenden Energiepreisen hatten Nachzahlungen mit fast 20.000 Euro einen herben Einschlag gebracht.

Trotz einstiger Insolvenz, trotz Rückschlägen: Aufgeben war nie eine Option für Gert Freudenberg, der nach großen Investitionen in Niesky 1997 in Sproitz neu durchstartete: „Ich habe das komplette Backinventar inklusive Warenbestand und Fuhrpark aus der Insolvenzmasse zurückgekauft.“ Auch in der Hoffnung, dass doch noch einer seiner Söhne das Geschäft übernimmt, ging er noch einmal ins Risiko, doch die Kinder werden es nun doch nicht richten. Und er betont: „Ich bin eigentlich der einzige Hauptgläubiger – ich habe meine betriebliche Altersversorgung eingesetzt. Mein Slogan: Das letzte Hemd hat keine Taschen.“

Das tägliche Glück gebraucht zu werden

Keiner seiner Mitarbeiter ging leer aus: „Alle haben bis zur letzten Stunde ihren Lohn erhalten, alle Außenstände wurden von mir beglichen. Die Beschäftigten konnten rechtzeitig Arbeitslosengeld beantragen und hatten Gelegenheit, sich neu zu orientieren.“

Noch hofft er, in Sproitz einen Nachfolger zu finden. „Ich möchte den Betrieb so lange wie möglich warmhalten. Alle Maschinen sind in doppelter Ausführung vorhanden, fünf Backöfen stehen funktionstüchtig bereit.“ Der geschätzte Neuwert der Ausstattung läge bei rund 1,8 Millionen Euro. „Ich würde alles zu äußerst günstigen Preisen abgeben. Die Hoffnung stirbt zuletzt“, sagt er ohne Bitterkeit, dass der Ruhestand an ihm vorbeigeht. „In meinem Alter hat man viel erlebt, ich muss nicht durch die Welt reisen“. Und es wird im Gespräch in der Backstube klar, dass der eigentliche Antrieb für ihn die Einbindung in die Dorfgemeinschaft ist – das tägliche Glück, gebraucht und geschätzt zu werden. Im Grunde scheint es, als ende das Verantwortungsgefühl bei ihm einfach nicht. Prompt öffnet sich die Tür und ein Nachbar erkundigt sich, ob denn die Kuchenbleche für die eigene Feier schon vorbereitet seien. Nachdem die Tür wieder geschlossen ist merkt Gert Freudenberg an, dass Kunden nicht allein aus Sproitz und den Nachbardörfern kämen. Für seinen Schlesischen Streuselkuchen würden ihm noch heute viele Nieskyer die Treue halten und immer wieder Bestellungen aufgeben. 

Gert Freudenbergs Resümee  ist klar: „Man muss zur Einsicht zurückfinden, dass ohne den unteren Mittelstand unsere Gesellschaft zerbricht. Die Politik belügt sich selbst – und glaubt ihre eigenen Lügen.“ Ein offenes Wort, das nichts beschönigt. Und ein Appell eines Mannes, der sein Leben dem Handwerk gewidmet hat – und daran glaubt, dass es auch in Zukunft einen Platz haben muss.

Till Scholtz-Knobloch / 02.08.2025

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