Der Ton macht in Kaschel und Zimpel die ’Musik’

Irena und Edgar Gand mit Sohn Rico vor ihrem renovierten Umgebindehaus in Kaschel – Panorama auf und Sicht aus dem Haus sind getrübt vom klobigen Sirenenmast. Foto: Till Scholtz-Knobloch

Kommt der Storch zurück, wenn die Sirene dahinter aufheult? Jan Molenda und Familie Gand im Gespräch. Foto: Till Scholtz-Knobloch
Die Gemeinde Boxberg hat im Sommer dank Sirenenförderprogramm vermeintliche Alarmierungslücken in Kaschel und Zimpel geschlossen. Doch mit mangelnder Kommunikation hat sich die Gemeinde nur neue Feinde gemacht.
Kaschel/Zimpel. Kaschel ist neben Jamno und Dürrbach der am weitesten von Görlitz entfernte Ort, in dem der Niederschlesische Kurier verteilt wird. Und man sieht sich auch innerhalb der Gemeinde Boxberg in undankbarer Randlage. Schon beim Plausch vor einem Vororttermin muss der Autor vernehmen, dass im Ortsteil Nochten, von wo der Bürgermeister stamme, alles top aussehe, Kaschel aber wie Zimpel immer wieder übergangen würde.
Der Kaschel vertretende Boxberger Gemeinderat Thomas Stenzel hatte den Niederschlesischen Kurier kontaktiert. Er berichtete: „Eine vermeintliche Alarmierungslücke wurde in den beiden Ortsteilen Zimpel und Kaschel festgestellt. Das sahen die Ortschafts- und Gemeinderäte aus den betroffenen Ortsteilen, befragt nach dem Wunschaufstellort, allerdings anders und kommunizierten und begründeten eindeutige Ablehnung. Da diese Ablehnung offensichtlich nicht im Sinne der Verwaltung war, wurde die Aufstellung der Sirenentürme dann kurzerhand ohne weitere Mitbestimmung – etwa in Form von Beschlussvorlagen in den Ausschüssen und Sitzungen des Gemeinderats – festgelegt.“
Edgar, Irena und Sohn Rico Gand bewohnen das historische Umgebindehaus im Ortskern an der Bushaltestelle. Irena Gand berichtet: „Aber, dass man mit den Leuten nicht geredet hat...: ‚Du pass auf, an Deinem Gartenzaun kommt so ein Teil hin‘, nein, auf einmal steht früh um halb Sieben der Bagger hier vor der Tür und buddelt ein Loch. Das war am 11. oder 12. Juni. Wir dachten dann zunächst, die machen hier an das Bushäusel eine Stange dran mit Tute drauf und die Sache ist erledigt.“
Inzwischen gab es mehrere ohrenbetäubende Fehlalarme und der schönste, der zentrale Platz des Ortes ist quasi im Eimer. Edgar Gand erzählt: „Unser Umgebindehaus ist ja an sich hier schon fast ungewöhnlich, so weit nach Norden gibt es ja nur sehr wenige. Wenn Touristen – meist mit dem Fahrrad – vorbeikommen, dann staunen sie und man kommt ins Gespräch. Mein Urgroßvater hatte das Haus von jemandem geerbt, der keine Kinder hatte.
Ganz früher soll das mal eine Stellmacherei gewesen sein. Vor der Wende durfte man ja nichts machen, weil Kaschel und Klitten abgebaggert werden sollten. Und so haben wir alles erst nach der Wende gemacht.“
Nun ist quasi das Touristenmotiv futsch und die Familie sinniert über die Wertminderung „durch diese Pfeife hier“. Und wenn der Blitz einschlägt? „Das kann bis zu uns übergreifen. Ein Elektriker hat uns erklärt, dass uns sämtliche Geräte zerschlagen werden könnten“, nagt es an ihnen. Will Sohn Rico bleiben? „Das kommt auf die Arbeit drauf an. Ich bin im Tagebau.“
Simulierte Mitsprache?
Jan Molenda versteht das alles gut, sieht aber auch eine andere Seite: „Du kannst letztlich der Gemeinde nichts Böses. Sicherheit steht über dem Storchennest hier und über ästhetischen Dingen und so weiter. Aber...“, so fährt er fort „... man hätte fairer miteinander umgehen sollen. Dieses: ‚Überlegt euch mal, wo es hinkommt‘, suggeriert Mitspracherecht, das es de facto dann gar nicht gab. Das Ärgerliche ist einfach, wie man hier mit den Leuten umgeht.“
Der Ort stehe im Grunde auch immer zusammen. Ob Maistangenschmeißen, Kinder- oder in Kürze das Oktoberfest am 27. September, ab 15.00 Uhr, Wintergrillen, Fahrradausflüge oder Zampern – bei diesem sorbischen Brauch ziehen bunt verkleidete Gesellschaften mit Musik von Haus zu Haus und sammeln Eier, Speck und Geld – der e.V. Einigkeit Kaschel hält alle zusammen. Erst am 9. August hatte Kaschel die 3. Kaschel-Mania gefeiert. „Einigkeit Kaschel“ übertrug das Konzert von Roland Kaiser live von den Dresdner Elbwiesen. Die Bühne steht noch. Im Grunde fehle heute nur wie überall die Kneipe, die in Kaschel unmittelbar neben dem Umgebindehaus gastronomisch verwaist ist.
Unterschriftenliste in Zimpel
Decken sich die schlechten Erfahrungen in Kaschel mit der Gemeinde aber auch mit Zimpel? Nur 1½ Kilometer weiter organisierte Monika Mirle den Unmut und stellt die Sache so dar: „In Zimpel konnte man eigentlich absehen, dass als Standort die Bushaltestelle mit dem nebenliegenden Kinderspielplatz von der Gemeinde angestrebt wurde, auch weil dort eine Stromversorgung besteht.“ Im Vorfeld der Errichtung habe es dann geheißen, dass sich auch hier die Bevölkerung beteiligen könne, „aber faktisch war das Gegenteil der Fall. In der Ortsschaftsratsversammlung Klitten – Zimpel gehört dazu – wurde das Thema von mir angesprochen, ich bin aber vom Amtsleiter sehr unwirsch abgebügelt worden.“ Ihre Unterschriftenliste gegen das Vorhaben sei formal zurückgewiesen worden, „weil ich nicht das richtige Formblatt benutzt hatte. Dieses wurde als ‚Wurstblatt‘ bezeichnet – das war der Hammer“, ereifert sie sich. „Ich habe also alle Haushalte noch einmal besucht und mir ein zweites Mal in der Mehrheit der 32 Haushalte eine Unterschrift gegen das Vorhaben nun mit Adresse holen müssen. Nur weil nicht überall jemand da war, fehlten mir acht Haushalte bei unseren 92 Einwohnern“, führt sie als Beleg dafür an, dass der Ort praktisch einhellig denke.
„Wir hören übrigens sogar die Sirenen in Klitten, Kreba, Boxberg, Förstgen und selbst noch in Halbendorf an der Spree“, stellt sie die Sinnhaftigkeit des neuen Sirenenmastes als solches in Frage und sie sieht auch weitere Mängel: „Wir im Osten wissen was Katastrophe bedeutet, aber wir wissen im Alarmfall ohnehin nicht den konkreten Anlass, werden quasi nur beschallt. Was sollen wir denn tun? Wir haben keine Einweisung in den Katastrophenschutz und wie in Kaschel gab es gerade vorhin wieder einen Fehlalarm, weil es wohl technisch nicht läuft. Der Alarm hat mir den Atem stocken lassen. Wir haben hier übrigens auch keinen Handyempfang, was im Katastrophenfall vielleicht noch wichtiger ist. Um die wichtigen Dinge kümmert sich keiner“, beklagt sie sich.
Auf eine Anfrage bei der Gemeinde verzichtete die Redaktion dieses Mal, nachdem die letzten drei Anfragen in anderen Fällen an die Gemeinde Boxberg alle unbeantwortet geblieben waren. Es gibt also ein weiteres gebranntes Kind fehlender Kommunikation.