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Neue Parteien bilden sich zum Superwahljahr in Sachsen

Neue Parteien bilden sich zum Superwahljahr in Sachsen

Jens Hentschel-Thöricht (für den Landkreis Görlitz) und Jens Dietzmann (für den Landkreis Bautzen) stellten in Neusalza-Spremberg das „BSW“ für die Oberlausitz vor. Foto: Matthias Wehnert

Im Superwahljahr in Sachsen ist das Parteiengefüge außer Rand und Band geraten. Die Lager werden zum Jahresbeginn mit neuen Angeboten völlig durchgeschüttelt. Die Umfragen lassen beste Chancen für neue Wahlvorschläge erahnen.

Region. Die politischen Angebote erscheinen vielen Wählern zunehmend töricht. Die Ampel in Berlin und eine nicht minder unbeliebte Landesregierung könnten bei Wahlen zum jetzigen Zeitpunkt einpacken. Die Lager halten nicht mehr.
Zunächst ohne Namensnennung lud Jens Hentschel-Thöricht, den die Internetseite der Kreistagsfraktion der Linken am Mittwoch noch als deren Geschäftsführer auswies, für Dienstag nach Neusalza-Spremberg ein. Mit MDR und Redaktion dieser Zeitung versammelten sich letztlich vier Dutzend Gäste, um dem ersten regionalen Treffen zur Bildung des „Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit“ (BSW) beizuwohnen.

Der Abend zeigt zunächst einmal das Dilemma bei Abspaltungen oder Neugründungen. Wer macht den Anfang, wer gibt seinen Namen zum Mitgestalten her? Jens Dietzmann aus dem Landkreis Bautzen gehört dort nicht zur ersten politischen Reihe. Politisch im Kreis Görlitz bekannter entgegnet Jens Hentschel-Thöricht auf die Frage der Redaktion im Rathaussaal von Neusalza-Spremberg, wer denn sonst zum Kreis der Gründer gehörten würde, es gäbe zahlreiche ’Anrufer’ von Krauschwitz bis ins Zittauer Gebirge. Sprich – eigentlich sind Dietzmann und Hentschel-Thöricht wohl erst einmal alleinig vorangestürmt.

Doch auch im klassischen bürgerlichen Lager rappelt’s. Genau eine Woche zuvor hatte Holger Zastrow, lange Jahre im Bundesvorstand der FDP und 20 Jahre Landesvorstandschef, 10 Jahre Landesfraktionschef bei „X“ (Twitter) seinen Austritt aus der FDP bekanntgegeben. Ihn hätte die Berichterstattung zur großen Bauerndemo in Berlin wie ein Schlag getroffen. Bundesvorsitzender Christian Lindner hätte zudem nicht begriffen, dass er vor Freunden und nicht vor Feinden sprach. „Dort waren ganz ganz viele Selbstständige, nicht nur Landwirte. Das hat mich körperlich richtig angegriffen. 

In dem Moment wusste ich, die Leute können wir nicht zurückholen“, bekannte der auf der Demo neben „meinen Dresdner Stollenbäckern“ stehende Zastrow im Interview für den ’Kontrafunk’ und erteilte damit gleich auch noch etablierten Medien eine Abfuhr. Erst seien den Liberalen die Handwerker verloren gegangen, mit der Mehrwertsteuer die Gastronomen und nun auch noch die Landwirte. Spätestens vor einem halben Jahr hätte man beim Heizungsgesetz erkennen müssen, dass Grüne mit Gängelei „eine Gefahr für die freie Gesellschaft“ und natürlicher Feind des Liberalismus seien. Eine Anfrage an die FDP-Kreisvorsitzende Schütz, wie sie den Austritt bewerte, blieb unbeantwortet; der für die Oberlausitz quasi zuständige Bundestagsabgeordnete Torsten Herbst reichte die an ihn ebenfalls gerichtete Frage weiter, so dass die Redaktion eine Stellungnahme des Generalsekretärs der FDP Sachsen Hartewig erreichte. Das nächste Symptom für ein festgefahrenes Parteiensystem, in dem sich die Verantwortlichen in der Region hinter der Führungsriege in Schockstarre verstecken. Die Antwort liest sich wie jede andere Pressemitteilung ohne echte Botschaft auch.

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Holger Zastrow (links) und Andreas Grapatin (hinten im schwarzen Hemd) bei einem Gespräch mit dem früheren Sejm-Abgeordneten der deutschen Minderheit in Polen Ryszard Galla (rechts) in Oppeln (Opole). Foto: Till Scholtz-Knobloch

Ein alter Weggefährte und Freund Zastrows, der früher in Görlitz wohnhafte einstige Leiter des Polenbüros des Freistaates in Breslau und CDU-Landtagsabgeordnete für Dresden, Andreas Grapatin, hat mit seiner früheren Partei schon lange abgeschlossen. Auf Zwischenstation in Görlitz outet er sich gegenüber der Redaktion als einer der Netzwerker im rechtskonservativen „Bündnis für Deutschland“ in Sachsen und in dieser quasi für die Oberlausitz zuständig.
Grapatin betont: „Nach über 70 Jahren haben wir heute ein solches Dickicht an Gesetzen und Verordnungen, dass selbst Rechtsanwälte oft Probleme haben noch durchzublicken. Wie soll da ein Handwerksmeister mit einer neuen Idee ohne Kollision mit einer der vielen Vorschriften noch agieren? Strebe man Veränderungen an, werde der Bürgerwille überheblich ignoriert oder mit falschen Etiketten abgestempelt.

Nach dem Treffen mit der Redaktion meldete er sich enttäuscht noch einmal im Anschluss der Bundespressekonferenz seiner Partei in Berlin. Zu einem Bündnis mit der „Werteunion“ von Ex-Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen kommt es zur Europawahl nicht, da diese CDU-Gliederung nun eine Selbstständigkeit als eigene Partei aufnimmt. In ihr ist dabei ebenso wenig klar, welche Rolle die zweite Leitfigur Dr. Markus Krall einnehmen darf. Grapatin sieht für seine Partei ein „Zusammengehen mit der Werteunion verschoben“, doch dürfte diese mit ihren beiden prominenten Spitzen wohl auch dauerhaft zum Alleingang ansetzen.

Mit der Werteunion wird auch Holger Zastrow in Verbindung gebracht. Aus dem Landkreis Görlitz scheint der Görlitzer Stadtrat und ehemalige deutsche Konsul in Breslau, Ralf Kaufmann, Interessent für eine Mitgliedschaft in der Werteunion zu sein. Diese – Fleisch vom Fleisch der Union – ist aber wie die AfD auch vom Bannstrahl einer ’Brandmauer’ seitens der CDU getroffen.

Ganz viel hängt also weiterhin davon ab, wie lange die CDU-Mitglieder sich den Absturz der Umfragewerte ihrer Partei noch ansehen. Johann Wagner, Kreisvorsitzender der Jungen Union beschwor in einer Pressemitteilung am Montag zwar, dass der Ministerpräsident seine Sache richtig mache, erklärte aber auch: „Die Polarisierung und Radikalisierung unserer Zeit geht vor allem darauf zurück, dass über Jahre vollkommen legitime, demokratisch rechte Positionen in eine Ecke mit Neonazis gestellt wurden.“ Wagner dürfte dabei im Hinterkopf die Bilder der Demo tags zuvor gegen Rechts bzw. die AfD in Görlitz gehabt haben, bei der der Ministerpräsident unter Antifa-Flaggen zu sehen war. Das dürfte erneut Umfragewerte kosten, selbst wenn Wagner sich dem Dank an die Demonstranten grundsätzlich anschloss oder anschließen musste.

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Stefan Heinke. Foto: Ronny Voll

Stefan Heinke aus Kottmar ist als Kreisvorsitzender Oberlausitz der noch jungen Basisdemokratischen Partei „Die Basis“ fast schon etabliert, aber für ihn muss Politik grundsätzlich ganz anders organisiert werden. Er berichtet der Redaktion, er werde sich auf der Wahlkandidatenliste auf dem letzten Platz aufstellen lassen, da es gar kein oben und unten in Parteien geben solle. Er sehe seine Partei ohnehin eher in dem Auftrag sich selbst überflüssig zu machen. Zunächst strebe die Partei aber – eigentlich übermütig – eine Million Mitglieder an. Wenn es 100.000 werden: auch gut. Nicht, damit der Partei als solche Macht zufalle, sondern um sie im Übergang zum ständigen Initiator von Volksabstimmungen zu machen. Denn: „Die klassische Parteipolitik kann es nicht mehr“. Heinke erläutert das Modell des „Systemischen Konsensieren“, kurz: SK-Prinzip. Ein Gruppe entwickelt möglichst viele Vorschläge, diese werden von allen Beteiligten individuell bewertet, ehe der Vorschlag mit dem geringsten Gruppenwiderstand als dem Konsens am nächsten errechnet wird. Im Grundgesetz heiße es ja auch, dass Parteien an der Meinungsbildung „mitwirken“, diese aber eben nicht alleinig und auf Dauer kapern.

Weniger oben und unten, scheint auch ein Leitgedanke beim entstehen Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) zu sein, das im Februar einen Landesparteitag plant. Jens Hentschel-Thöricht lädt am Dienstag in Neusalza-Spremberg vor allem zur Mitarbeit und Eintragung in eine Interessentenliste ein und bittet auch die Redaktion um Nennung der Kontaktadresse bsw-lkrgoerlitz@gmx.de beziehungsweise hinsichtlich eines Interesses im Landkreis Bautzen: bsw-lk.bautzen@gmx.de. Wichtig sei zunächst Kandidaten für den Kreistag zu finden, ehe man auch auf die Gemeinden ausstrahlen könne.

Die Diskussion ist an diesem Abend durchaus lebendig, doch nur drei zuletzt politisch Hervortretende melden sich zu Wort. Neben dem bereits genannten Ralf Kaufmann auch der Zittauer Stadtrat Winfried Bruns. Er zeigt an der neuen Partei Interesse, zumal er sich aus seiner Fraktion der Linken verabschiedet habe. Bruns betont jedoch, dass er zunächst eine Weile Beobachter spiele, ob Ankündigungen des BSW auch mit der Umsetzung übereinstimmen würden. Als Dritter ist der Nieskyer Autohändler und Ex-Landratskandidat Sylvio Arndt (https://schoen-waers.de) zu nennen, der Lagerdenken, Denk- und Kontaktverbote als Unsinn ansieht. Er habe letztlich zu bemängeln, dass an diesem Abend zu viele Versprechungen gemacht wurden. Dabei wisse doch jeder, dass das Geld einfach alle sei. Und das ist es wohl auch, was der Wähler 2024 vor allem verlangt: ehrliche Bestandsaufnahmen, zu denen auch ganz ehrliche Kassenstürze gehören müssen.

Kommentare zum Artikel "Neue Parteien bilden sich zum Superwahljahr in Sachsen"

Die in Kommentaren geäußerten Meinungen stimmen nicht unbedingt mit der Haltung der Redaktion überein.

  1. Rosinante schrieb am

    Alle Jahre wieder

    Es ist wahrlich erstaunlich, wie lang dieser Mythos "Wahlen könnten was verändern" sich nun schon hält.

    Wer nach den vielen Jahren mit - Wahlen - immer noch darauf hofft, es könnte mit irgendeinem Kreuzchen positiven Einfluß auf das Leben der Allgemeinheit und eine Veränderung aus diesem Dilemma genommen werden, hat dieses dauerhafte Eintrichtern der political correctness im Kindergarten und in der Schule, Lehre usw. immer noch gut manifestiert.

    Ich würde niemals - meine Stimme - für irgendeinen Namen in eine Urne werfen.

    Mehr Tod geht wahrlich nicht.

    Der Freifahrtschein, der sich für diesen Namen daraus ergibt, ist mir viel zu gefährlich und ich treffe meine Entscheidungen eigenverantwortlich selbst. Ich gebe zu, es gibt genug Menschen, die brauchen diese Vorgaben und ein Sprachrohr, aber sie sollten sich dann nicht beschweren, wenn Entscheidungen getroffen werden, die ihnen dann nicht passen, denn ihre Stimme ist ja weg.

    Es sieht so aus, als ob die Ablenkung der Wahlen und Demos wahrscheinlich auch weiterhin funktionieren.

    Die Menschen sind immer noch nicht mutig genug und machen ihren Kopf von deren Verblendung nicht frei.

  2. Oberlau schrieb am

    In Zeiten stetig wachsender komplexer Probleme, braucht der Bürger einfacher begreifbare Erkenntnisse und Lösungswege der politischen Akteure.

    Es müsse im Kampf um Lösungen mehr Vertrauen zum Bürger entstehen. Eine allgemeine Wünschdirwas Mentalität ist die größte Gefahr für Gesellschaft und Zukunft. Wir müssen uns wieder beruhigen und versuchen mehr Sachlichkeit zu wagen.

    Auch beim Thema Parteiverbote, den Ball wieder flacher spielen.

    Wenn, dann müssten wir, um im gesellschaftichen Konses zu bleiben, alle politischen Richtungen einbeziehen. Das würde rein aus Gründen der Fairnes bedeuten ein Verbot der AFD und der GRÜNEN anzustreben.

    Das wäre doch mal was anderes, nur diente es zur weiteren Vergiftung unseres gemeinsamen Miteinanders, ein Mehrwert ist dabei nicht erzielbar.

    Hallo Leute, im Gespräch egal ob mit oder ohne Sternchen, lassen wir uns einfach, wieder mehr uns selbst sein. Auch bei den Grünen gibt es vernüftige Menschen, so auch bei der AFD, wurden schon viele von Ihnen entdeckt.

    Lassen wir uns ein, auf uns selbst und die vielen Dinge die bearbeitet werden müssen. Dann läuft Problemlösung, packen wir es an, notwendige Aufgaben bearbeiten. Da fällt auf einmal kein Wort mehr von den gefährlichen Grünen und die unsäglichen Nazibeschimpfungen gegen viele Bürger lassen wir beruhigen.

    So geht Zukunft und wir werden dabei alle ein Stück reicher.

  3. Erhard Jakob schrieb am

    Am 1. Sept. 2024 wird der Landtag von Sachsen neu gewählt und alle Kandidaten und Parteien wollen, dass wir ihnen vertrauen und unsere Stimme geben! Allerdings können wir nur einer Partei und einem Kandidaten unsere Stimme geben!

    Viele Bürger haben das Vertrauen in diese Parteien und Ihre Vertreter verloren und gehen deshalb gar nicht mehr zur Wahl. Andere gehen zur Wahl
    und Wählen Protest (AfD)!

    Jetzt ist noch eine weitere >Protestpartei< hinzugekommen die *BSW*. Das kann dazu führen, dass die Zahl der Nicht-Wähler etwas sinkt, z.B. von 40 auf 30 %.

    Ich werde auf jeden Fall im Wahlkreis >53< versuchen alle Kandidaten persönlich anzusprechen und mir ein BILD von ihnen zu machen. Dann werde ich entscheiden, wem ich mein Vertrauen ausspreche. Natürlich kann es auch sein, dass ich keinen der Parteien bzw. der Kandidaten mein Vertrauen ausspreche!

    Schaumama!

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