Holger Friedrich stellt sich in Görlitz der Medien-Debatte
Theaterintendant Daniel Morgenroth hatte den Verleger der Berliner Zeitung, Holger Friedrich, zur Diskussion nach Görlitz eingeladen – im Ostrock-Bühnenbild Straße der Besten. Foto: Matthias Wehnert
Holger Friedrich ist als Verleger der Berliner Zeitung der einzige Ostdeutsche an der Spitze einer meinungsführenden Tageszeitung. Da sich sein Blatt fundamental anders als die Dependancen westdeutscher Verlagshäuser positioniert, war eine despektierliche Spiegel-Geschichte über ihn unausweichlich. Dessen Chef-Redaktion scheute eine öffentliche Debatte, zu der Theaterintendant Daniel Morgenroth nach Görlitz eingeladen hatte.
Görlitz. Schon bei der Vorstellung Holger Friedrichs kann sich Daniel Morgenroth diesem gegenüber nicht die Bemerkung verkneifen: „Als öffentlich wurde, dass Sie zu einem Gesprächsabend hierherkommen, rief mich eine lokale Journalistin an und sagte: ’Haben Sie denn den Spiegel-Artikel über ihn nicht gelesen?’“. Damit hätte man freilich den Abend auch schon beschließen können, denn der Vorrang einer Erwartung vor jeglichem Kalkül neue Erkenntnisse zu gewinnen, scheint ja gerade das zu sein, was latent so viele Menschen ekelt – vorausgesetzt sie leisten sich noch den Luxus einer eigenen und nicht angelesen Meinung.
Auf dem Weg zur Debatte, an der der Spiegel nicht teilnahm, hatte mich eine Spruch mittels eines Whatsapp-Bildes erreicht, das mir der Absender ohne Wissen um die Debatte in Görlitz zusandte: „Das nervigste an der freien Meinungsäußerung in Deutschland ist das anschließende Aufräumen nach der Hausdurchsuchung“. Beim Schmunzeln fiel mir sodann bitter eine aktuelle Insa-Meinungsumfrage ein, die besagt, dass besonders jüngere Menschen wahrnehmen, nicht mehr sagen zu können, was sie denken. Schon über die Hälfte der bis 39-jährigen meint dies und das Potenzial wächst dieser Tage weiter, da die EU derzeit eine Echtzeit-Überwachung von Handys und Laptops plant. Witzigerweise ist das beschriebene Gefühl unter Anhängern regierungsbeteiligter Parteien deutlich geringer.
Natürlich lockte der Abend gefühlt oder real Bedrängte stärker. Vor allem aber verstand es Daniel Morgenroth charmant, mentale Lockerungsübungen mit dem Publikum vorzunehmen, denn wer wenigstens noch gemeinsam lachen kann, könnte vielleicht in Erwägung ziehen, sich auf einen Perspektivwechsel einzulassen. Dabei brachte Morgenroth einen solchen gar nicht so häufig in die Diskussion und ging eher journalistisch vor. Er ließ Holger Friedrich weitgehend reden.
Friedrich nutzte die Freiräume vor allem bei seiner scharfen Medienkritik. Ihn habe am Einstieg in den Journalismus gereizt Perspektiven zu erweitern anstatt nur festzustellen, wo die Grenzen dieser Perspektiven sind. Die übergroße Vorsicht die er jedoch im Alltag gespürt habe, hätte ihn irritiert, weil er neugierig sei. In diesem Kontext bemerkt Daniel Morgenroth, dass zwar alle sonstigen großen Tageszeitungen von Verlagen aus dem Westen getragen seien, aber die „Zeit“ etwa eine große Redaktion in Leipzig aufgebaut habe. Friedrich winkt ab: „Die Zeit ist ein Hamburger Blatt mit britischer Lizenz nach dem 2. Weltkrieg und mit ganz klarem Mindset, was falsch und richtig ist“, sie unternehme zwar in Leipzig den Versuch den Osten zu erklären, aber im Endeffekt kämen die Redakteure dort nicht aus der großen Struktur heraus, in der eine Hamburger Zentrale einen Kolonialwarenladen betreibe. Auch Madsack aus Hannover richte den Blick auf Sachsen in solcher Weise.
Kritik hätte ohnehin häufig ein ähnliches Muster: Es gebe diejenigen, die sich in Grenzen eingerichtet haben und versuchen, ihre individuellen oder institutionellen Vorteile zu sichern. Das habe es auch in der DDR unter anderen Vorzeichen gegeben, aber die Leute wüssten in jeder Zeit, wer Caro- und wer Club-Raucher ist. Die bildhafte Sprache, mit der Friedrich punktet, gefährdet dieser jedoch durch eine Flut an Anglizismen, die die Frage aufwirft, welcher der beiden Diskutanten Wessi ist.
Am Montag führte der Autor dieser Zeilen eine Nachbetrachtung mit Daniel Morgenroth, denn die Frage stand im Raum, ob der gewiefte Intendant, der jüngst – je nach Blickwinkel – mit einer Sponsorenperspektive oder -drohung für das Theater dieses in die landesweiten Schlagzeilen führte, nur aus finanzieller Bedrängnis mit der Debatte einen neuen Nutzerkreis erschließen will. Morgenroth verneint dies deutlich und die inhaltliche Debatte setzt sich zu verschiedenen Aspekten der Kapitalismuskritik in seinem Büro fort und bietet viele Ansätze, Debatten scheinbar nicht kompatibler Gesprächspartner doch einmal auszuloten.
Er habe seine Haltung auch gar nicht ändern brauchen. Gewiss hafte Theater per se ein linkes Image an, aber es gehe um Neugier. Das Kalkül neuer Erkenntnis hatte Morgenroth bereits bei der Debatte, die im Internet gestreamt wurde und unter www.youtube.com/ watch?v=KVmHRDy4SKY geschaut werden kann, als zentral bezeichnet. Statt vermeintlich mit Schlagworten von Schwurbelei ein offenes Fenster des Dialogs über Grenzen bisheriger Unvereinbarkeit in fehlender Courage gleich zumauern zu wollen, hat Morgenroth das Theater am besagten Abend im besten Sinne viel relevanter gemacht, als dies jede politisch fingierte Kneipenumfrage mit Linzenz zur Anklage könnte. Die bis heute nie auf Augenhöhe stattgefundene Debatte der beiden vermeintlich antagonistischen Seiten der Stadtgesellschaft könnte vielleicht auf der prominentesten ihrer Bühnen eine Chance haben. Denn – die Gesprächspartnerkonstellation 1:1 statt etwa 4:1 hat beiden Haltungen ihre Achtung gelassen – eine gänzlich neue Erfahrung in einer Stadt, die sich regelmäßig aus ihren oft tief ausgehobenen Gräben belauert. Das Theater sollte Club- und Caroraucher öfter zusammenbringen!
Kommentare zum Artikel "Holger Friedrich stellt sich in Görlitz der Medien-Debatte"
Die in Kommentaren geäußerten Meinungen stimmen nicht unbedingt mit der Haltung der Redaktion überein.
Ein Dank an die Redaktion für immer wieder solche gute, reelle Berichterstattung... welche leider viel zu selten ist! Gerne mehr davon...
@tsk
ich sende hiermit ein: Daumen hoch!