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Oberlausitz: Die Polizei kann kaum mehr überall sein

Oberlausitz: Die Polizei kann kaum mehr überall sein

In Zittau war der zentrale Markt am Montag fest in der Hand der „Spaziergänger“, nachdem diesen der Durchbruch in der Reichenberger Straße gelang. Foto: privat

Region. Am Montagabend kam es in vielen Städten der beiden Oberlausitzer Landkreise Görlitz und Bautzen wieder zu Corona-Protesten – nach Angaben der Polizei „unter anderem in Bautzen, Bischofswerda, Görlitz, Niesky, Rothenburg, Zittau, Ebersbach-Neugersdorf, Löbau, Hoyerswerda, Bernsdorf, Weißwasser, Kamenz sowie in Radeberg, Arnsdorf, Ottendorf-Okrilla, Pulsnitz und Königsbrück.“

Als Hotspot stellte sich erneut Bautzen dar. „Die Polizei meldete zwölf verletzte Beamte; zwölf Polizeiautos seien beschädigt. Die Polizei hatte zuvor einen nicht genehmigten Aufzug gestoppt, was massive Gegenwehr zur Folge hatte“, stellte der Videotext der Tagesschau das Geschehen bundesweit in den Mittelpunkt der Berichterstattung, obwohl die Zahl der Protestierenden von anderen Orten in Deutschland bei weitem übertroffen wurde. So war diese in Rostock von 10.000 in der Vorwoche auf bereits 17.000 hochgeschnellt.

Insgesamt waren für die Bautzener Innenstadt acht Versammlungen angemeldet, ein entstandener Aufzug wurde von der Polizei in der Wallstraße bei massiver Gegenwehr gestoppt. Pyrotechnik und Flaschen contra Reizgas und Schlagstock brach sich hier Gewalt Bahn. Die Polizei stellte in 195 Fällen Identitäten fest, erstattete 23 Strafanzeigen und 183 Ordnungswidrigkeitenanzeigen.

In Zittau gewannen hingegen Protestierende friedlich die Oberhand. Nachdem in der Reichenberger Straße das Polizeiaufgebot der Masse nicht standhalten konnte, nahm diese vom zentralen Markt Besitz. In Löbau bekam die Polizei das Geschehen faktisch ebenso nicht mehr unter ihre volle Gewalt.

Auch in Rothenburg kamen die Menschen den Aufforderungen der Polizei nicht mehr nach und setzten sich als Aufzug in Bewegung. „Die Menschen erreichten den Marktplatz und stellten Kerzen ab. Die Polizisten erstatteten sechs Ordnungswidrigkeitenanzeigen sowie eine Anzeige wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz gegen Unbekannt“, teilte die Polizei zu diesem Aufzug mit, der nach den Zahlen der Polizei zumindest anfänglich noch mehr Menschen umfasste als im größeren Weißwasser.

Ein mittlerweile traditionelles Katz- und Mausspiel zeichnete sich in Görlitz ab, wo Eskalationen lange ausblieben. Am Theaterplatz wurde jedoch ein 72-jähriger von Beamten zu Boden gerissen. Die Polizei begründete, dieser habe eine Personenfeststellung verhindern wollen. Im Polizeibericht vermerkte diese nicht, dass sich der Großteil des Protestes dieses Mal nach Verabredung über soziale Netzwerke zunächst – und gänzlich neu – nun auf Königshufen rund um die Hoffnungskirche verlagert hatte. Das dünnte das überrasche Polizeiaufgebot in der Innenstadt vermutlich aus. Und auch in der Innenstadt gab es eine neue Proteststrategie.

Für den Postplatz hatte die Ordnungsbehörde des Landkreises eine Genehmigung für 10 Teilnehmer gegeben. Der Veranstalter begrenzte sein Terrain zur Veranstaltung mittels Verkehrsregel auf eine Fläche von 12m². Der Leiter des Kreisordnungsamtes Falk Werner Orgus, empfahl die Veranstaltung dennoch zum Abbruch, weil die Anzahl der Teilnehmer nach seiner Meinung überschritten wurde. Zuvor konnte eine Schweigeminute für einen verstorbenen Mitorganisator stattfinden.

Der fraktionslose Stadtrat Jens Jäschke stellte am 28. Dezember zum Abbruch eine Anfrage an das Landratsamt, in der er plausible Begründungen fordert zu „dem Grund des Einsatzes, ohne dass dafür eine ausreichende Begründung vorlag (...) Warum ohne ersichtlichen Grund derart viele Polizisten (...) zu diesem ’Einsatz’ aufgestellt wurden.“

Die Polizei gab für den Postplatz 150 Personen an und führte damit offensichtlich nicht die an den insgesamt fünf Zugängen zum Platz lauernden Protestwilligen mit auf, deren Umfang durch Zulauf aus Königshufen dann zudem anstieg, so dass sich die Zahl der Protestler auch hier erhöhte. Die Zahlen der Polizei stellen vor diesem Hintergrund eine Momentaufnahme an einem zufällig gewählten Ort eines sich in der Innenstadt weit gedehnten Geschehens dar. „Gegen 19.30 Uhr befand sich eine circa 150 Personen starke Gruppe auf der Elisabethstraße“, heißt es so quasi fast beliebig im Polizeibericht vom Dienstag.

Auch innerhalb der Polizei zeigt das Nervenspiel mittlerweile Folgen. Angesichts sinkender Inzidenzzahlen sieht der Landeschef der Gewerkschaft der Polizei, Hagen Husgen, seine Kollegen bei den derzeitigen Einsätzen verheizt. In „Zeit online“ wird Husgen zitiert, „dass die Polizei als Ersatz des politischen Meinungsstreits missbraucht wird (...) Gesellschaftliche Probleme lassen sich aber grundsätzlich nicht mit polizeilichen Mitteln lösen.“ Daher rege er an, die aktuellen Verordnungen beim Versammlungsrecht zu prüfen.

Till Scholtz-Knobloch / 31.12.2021

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Kommentare zum Artikel "Oberlausitz: Die Polizei kann kaum mehr überall sein"

Die in Kommentaren geäußerten Meinungen stimmen nicht unbedingt mit der Haltung der Redaktion überein.

  1. Oskar M. schrieb am

    An Silvester meldete der MDR (also der Sender mit der Intendantin mit SED-Vergangenheit) in seinen Mittagsnachrichten, dass einer nicht angemeldeten Demonstration von über tausend Teilnehmern gegen die Corona-Maßnahmen in Dresden eine angemeldete Gegendemonstration mit dreizehn Teilnehmern gegenüberstand. Es muss sich hier um die 99,8 % von Kretschmers Unterstützern gehandelt haben.

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