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Oberschlesisches Landesmuseum vor Aus und wie weiter in Görlitz?

Oberschlesisches Landesmuseum vor Aus und wie weiter in Görlitz?

Stephan Rauhut und Dr. Agnieszka Gasior vor dem Schlesischen Museum Foto: Matthias Wehnert

Alternativer Text Infobild

Muss die Zeche Zollverein das Erbe des Oberschlesischen Landesmuseums mitverwalten? Foto: Wilhelm Bolko Scholtz-Knobloch

Das Oberschlesische Landesmuseum im nordrhein-westfälischen Ratingen soll abgewickelt werden. Hat das im Sparzwang allerorten Auswirkungen auf andere Landesmuseum für ehemalige deutsche Siedlungsgebiete und somit auch auf das Schlesische Museum zu Görlitz? Der Chef der organisierten Schlesier, Stephan Rauhut, war dieser Tage bei Michael Kretschmer und bringt Eindrücke mit.

Görlitz/Ratingen/Essen
. Das Oberschlesische Landesmuseum (OSLM) in Ratingen-Hösel soll Ende 2025 – so die offizielle Lesart – in das 22 Kilometer entfernte Ruhrmuseum Essen in der Zeche Zollverein „integriert“ werden. In finanzieller Abhängigkeit vom Land Nordrhein-Westfalen hatte Sebastian Wladarz als Vorstandsvorsitzender der Stiftung Haus Oberschlesien, die das Oberschlesische Landesmuseum betreibt, die Entscheidung federführend betrieben. Zugleich ist er stellvertretender Vorsitzender der parallel zur „Landsmannschaft Schlesien – Nieder- und Oberschlesien“ (LM) bestehenden Landsmannschaft der Oberschlesier (LdO). Nach dem kürzlichen Tod des LdO-Vorsitzenden Klaus Plaszczyk am 1. Juli weiten sich dort Chaos und Grabenkämpfe aus, zumal sich der LdO-Bundesverband seit Ende 2024 in Insolvenz befindet.

Dies allein könnte Auswirkungen auf die LM unter Führung des aus Görlitz stammenden Stephan Rauhut haben, der vorletzte Woche im Hinblick auf die Finanzierung des Schlesischen Landesmuseums zu Görlitz zum Gespräch bei Ministerpräsident Michael Kretschmer in Dresden war. Während die LM also künftig noch aktive LdO-Kreisgruppen oder gar Landesverbände in ihre Arbeit integrieren könnte, stellt Stephan Rauhut im Gespräch mit dem Niederschlesischen Kurier erst einmal zum Oberschlesischen Landesmuseum in Ratingen klar: „Es soll keine Verlagerung geben, wie meist zu lesen ist. Geplant ist in Essen vielmehr eine Einlagerung in ein kleineres Lager auf einer winzigeren Fläche, als die Fläche, die jetzt für das Museum vorhanden ist. Es wäre der Tod des Museums. Und das macht uns natürlich Sorgen.“ Daniel Skrabania, Museumsleiter in Ratingen, nennt den Umzug einen „Skandal“ und verweist auf steigende Besucherzahlen sowie jüngste Investitionen.

Dr. Agnieszka Gasior, Museumsleiterin des Schlesischen Museums zu Görlitz – und auch im Stiftungsrats der Stiftung Haus Oberschlesien, Ratingen vertreten – betont im Gespräch mit dem Niederschlesischen Kurier, dass der Standort in Nordrhein-Westfalen als solcher unverzichtbar sei, da der immense Zuzug von Oberschlesiern dem Land an Rhein und Ruhr erst sein heutiges Gesicht verliehen habe – angefangen von Bergleuten im Kaiserreich bis zu Spätaussiedlern. Von längst integrierten Abkömmlingen – zahlenmäßig über der Millionengrenze – abgesehen, leben heute allein 630.000 Aussiedler in NRW. Man müsse Menschen dort Geschichte zeigen, wo es sie persönlich betreffe.

Aber bedrohen die öffentlichen Finanzen nun nach und nach alle? Fällt das eine Landesmusum, könnte dies dann als ’Vorbild’ in den Sparzwängen anderenorts – etwa Görlitz betreffend – verstanden werden?

Stephen Rauhut stellt voran, dass seines Eindrucks die nordrhein-westfälische Landesregierung in Sachen Ratingen „nicht so richtig engagiert bei der Sache ist, so muss man es vorsichtig ausdrücken.“ Theoretisch könne eine Lösung auch in Essen – auf der Zeche Zollverein – liegen, oder im in Düsseldorf geplanten Haus der Geschichte des Landes Nordrhein-Westfalen. NRW gäbe seiner Erinnerung nach 800.000 Euro pro Jahr für das Ratinger Museum aus, „da sind Landesmuseen wie in München das Sudetendeutsche und andere deutlich besser gefördert“ und auch Ministerpräsident Kretschmer habe ihm gegenüber betont, dass er zum Schlesischen Museum zu Görlitz stehe. Alle Gespräche lassen aber wie in anderen Politikfeldern auf ein Schielen auf Engagement vom Bund schließen.

Bei den Schlesiern gelte es zudem stets auch Sachsen mit seinem schlesischen Landesteil von Görlitz bis Ruhland und Niedersachsen als Patenland der LM sowie Nordrhein-Westfalen als Patenland der Oberschlesier zu koordinieren.
Michael Kretschmer habe „im gestrigen Gespräch“ mit ihm wirkliches Interesse gehabt, die schwierige Situation rund um Ratingen zu verstehen. „Und natürlich haben wir über das Schlesische Museum in Görlitz gesprochen. Ich habe den Eindruck, er ist sehr interessiert, dass das auch ausgebaut wird.“

Koordinierungsvisionen von Stephan Rauhut kommentiert Sebastian Wladarz vom Oberschlesischen Landesmuseum im Telefonat mit dem Niederschlesischen Kurier amüsiert. „Ich habe bei Stephan Rauhut den Eindruck, seine Devise lautet ’Make Silesia great again’“, versucht sich Waldarz andere Denkoptionen als eine ’Verlagerung’ nach Essen vom Hals zu halten. Im Spiel um den Erhalt von Fördergeldern gibt es ohnehin auch weitere Begehrlichkeiten. Die LM selbst betreibt ihr ’Haus Schlesien’ in Königswinter ebenso mit Projektarbeit, etwa Austauschprogrammen mit Polen. Die deutsche Minderheit im polnischen Oberschlesien mit weit über 30.000 zahlenden Mitgliedern hingegen sieht sich von Jahr zu Jahr mit weniger Unterstützung aus der Bundesrepublik konfrontiert und nahm sich zuletzt bei wichtigen Zusammenkünften selbst aus Gesprächen, wie Sebastian Wladarz beklagt.

Dass taktische Geplänkel in der Gunst um die richtige Strategie nicht wirklich auflösbar sind, ist auch daraus abzuleiten, dass Rauhut wie Wladarz betonen, die Museumslandschaft müsse sich multimedial und mit Onlineangeboten dem Wandel der Informationsgesellschaft stärker stellen. Doch jede Strategie lässt sich letztlich mit diesem Postulat bewerben. Ob und inwiefern in Ratingen Begehrlichkeiten auf die Immobilie des Ratinger Museums Triebkraft von Überlegungen sein könnten, hat bislang kein Medium wirklich erörtert.

Im Gespräch mit dem Ministerpräsidenten hat Stephan Rauhut angeregt, dass dem alle zwei Jahre in Hannover stattfindenden „Deutschlandtreffen der Schlesier“ in den Zwischenjahren in Görlitz ein vergleichbares Treffen hinzugefügt werden könne. Michael Kretschmer „möchte das unterstützen, auch in Zusammenarbeit mit den Institutionen hier vor Ort, also dem Schlesischen Museum, der Gemeinschaft evangelischer Schlesier (Anm.: der er 2024 selbst beigetreten war) etc. Und das gilt auch für die Schlesischen Musikfeste. Immerhin stehen wir 2030 vor der 200-Jahr-Feier des ältesten Musikfests Europas.“

Paradigmenwandel in der Kulturpolitik

Der eigentliche Paradigmenwechsel in der Arbeit mit dem Erbe der Vertreibungsgebiete vollzieht sich dennoch in meist gleichem Strickmuster, etwa, wenn über den neu eingerichteten „Transferraum Heimat“ in Knappenrode in der Oberlausitz Vertreibungsgeschichte politisch in die heutige Wirtschaftsmigrationsdebatte einfach eingewebt wird. Insgesamt befürwortet Stephan Rauhut die Einbindung des Zentrums in Knappenrode in Programme auch der LM, „damit unsere Leute das sehen und dann auch kritisch anmerken können, was das jetzt eher mit unserer Kultur und mit unserer Vertreibungsgeschichte und Erfahrung zu tun hat und was jetzt irgendwie in so einen großen Topf mit Migration geworfen wird. Wir sind überparteiliche Verbände, CDU und CSU sehen viele als die traditionellen Unterstützer der Heimatvertriebenen und Aussiedler. Aber es gibt eben auch einen Generationswechsel. (...) Der Vorteil der aktuellen Entwicklung ist folgender: Wir hatten immer Schwierigkeiten mit den Bundesbeauftragten Kultur und Medien und dies nicht nur mit der Hausspitze, Monika Grütters oder Claudia Roth, sondern vor allem mit manchen Strukturen innerhalb dieser Behörde und wir sind glücklich darüber, dass jetzt der komplette Paragraf-96-Bereich des Bundesvertriebenengesetzes ins Innenministerium kommt. Das wird geführt durch Alexander Dobrindt, der absolutes Verständnis für Heimatvertriebene, Aussiedler und Spätaussiedler hat“, so Rauhut.

Flankiert wird die Problematik durch fehlende wissen-schaftliche Expertise mit Schlesienbezug in Deutschland. Mit ausgewogenem Handeln kompensiert Dr. Agnieszka Gasior als Polin diesen Mangel zwar, dass das Museum jedoch in Breite weitgehend auf polnischer Expertise fußen muss, kann man gleichwohl schon als Spiegelbild einer allgemeinen historischen Vergessenheit in Deutschland verstehen.

Grenzlage schützt Görlitz

Hier findet Stephan Rauhut klare Worte: „Außer in den Bereichen Gender Studies und Kolonialforschung und diesem, ich sag mal ’Firlefanz’, fehlen tatsächlich Wissenschaftler, die sich mit deutscher Kulturgeschichte überall in der Bundesrepublik beschäftigen. Es fehlt an allen Ecken und Enden an Wissenschaft, die die Menschen brauchen, um ihre eigene Kultur zu erforschen, ihre eigene Geschichte.“ Immerhin funktioniere das Netzwerk in der Niederschlesischen Oberlausitz noch bestens. Aber eben aus jenem Mangel heraus hätten sowohl das Oberschlesische Landesmuseum als auch das Schlesische Museum zu Görlitz so große Bedeutung für den innereuropäischen Austausch und gegenseitiges Verstehenkönnen. „Bei ganz vielen Politikerreden oder Projekten höre ich: Deutsche und Polen müssen sich versöhnen. (...) Ich habe nicht das Gefühl, dass die Bevölkerung in Polen oder in Deutschland das Gefühl hat, man müsste sich miteinander versöhnen. Wir müssen einander verstehen. Und daraus entstehen dann Verständigung und Freundschaften und enge Verbindungen. Ich glaube, manche wissen mit den Begrifflichkeiten einfach nichts mehr richtig anzufangen. Es geht eher darum, uns von ideologischen Müll der letzten 90 Jahre zu befreien – und hierbei können wir uns manche Scheibe von den Polen abschneiden.“ 

Das Dilemma sitze viel tiefer und nenne sich NGO: „NGO heißt ja Non-Government-Organisation, also Nichtregierungsorganisation. Wie kann man so heißen, wenn man nicht nur durch Projektmittel, sondern auch das Personal ausschließlich durch den Staat finanziert wird?“ Dies habe das bürgerliche Lager die letzten Jahrzehnte über nicht verstanden, während andere ihre Think-Tanks gegründet hätten und eine verschleierte Finanzierungsmaschinerie aufbauten – finanziert vom Steuerzahler! „Ein ganz großes ist Demokratie leben. Und die Fördermechanismen sind so spannend, die gehen an den demokratischen Institutionen, also zum Beispiel einem Kreistag, einer Stadtverwaltung, einem Landtag vorbei. Und Städte sagen sich dann, ’naja, wenn wir das Geld jetzt nicht nehmen – auch für ein zweifelhaftes Projekt – dann kriegt es eine andere Stadt, also nehmen wir es doch lieber.’“ Landsmannschaftliche Arbeit werde hingegen noch ehrenamtlich gemacht. Sozialismus und Demokratie hingegen würden gar nicht zusammenpassen, weil sie echte demokratische Entscheidungswege aushebelten.

Diesen Ausführungen wohnte Dr. Agnieszka Gasior nicht bei und sie tut sicher gut daran, sich in verantwortlicher Stellung in solchen nicht einzubringen. Vor allem aber bleibt sie gelassen: „Bei allen Landesmuseen haben wir den Vorteil, dass wir wenige Schritte vom Nachbarstaat entfernt agieren, mit dem natürlicherweise der wissenschaftliche Austausch läuft.“ Welcher Politiker stellt eine solche Plattform infrage, mit der Selbstvermarktung viele einfacher ist als in anderen Landesmuseen: also ortsfremd zu Herkunftsgebieten von Vertriebenen?

Till Scholtz-Knobloch / 06.09.2025

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