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Blaue Gruppe eröffnet das politische Duell

Blaue Gruppe eröffnet das politische Duell

Octavian Ursu und seine Frau Désirée bei der Stimmabgabe zur Oberbürgermeisterwahl am 16. Juni 2019, bei der Ursu in dieses Amt gewählt wurde. Foto: Till Scholtz-Knobloch

Ministerpräsident Michael Kretschmer begab sich am Montag wieder auf Multipräsenz-, Eröffnungs- und PR-Tour nach Rothenburg, Reichenbach und Görlitz. In Görlitz galt der Heimatausflug auch dem OB-Wahlkampf-Auftakt von Octavian Ursu.

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Stefan Menzel bestätigt: „Ja ich will Oberbürgermeister werden.“ Foto: Till Scholtz-Knobloch

Rothenburg / Reichenbach / Görlitz. Der Tag beginnt für Michael Kretschmer um 9.15 Uhr in Rothenburg, wo sich Bürgermeister Philipp Eichler auf die Übergabe des Ortseingangsschild „Hochschulstadt Rothenburg“ freut, für die hier allerdings der ebenfalls anwesende Innenminister Armin Schuster verantwortlich zeichnet und auch Landespolizeipräsident Jörg Kubiessa mitgebracht hat. Der MP eilt gezielt auf die jüngsten anwesenden Gäste im Rathaus von der Kita Sonnenhügel zu, die auf seine Frage, wo sie den herkommen: „Von der blauen Gruppe“ antworten. Kretschmer ist aber Profi und und überspielt den durchaus witzig-doppeldeutigen Moment mit der Klarstellung: „Na, das passt ja heute hier zur Polizei“, deren sächsischer Fachhochschule die Ehrerbietung auf Metall gilt. Dabei gelten ja bereits recht schnöde Ortsschilder bereits als begehrte Sammelobjekte – ablesbar daran, dass am letzten Wochenende Unbekannte in Weigersdorf das Ortsschild in Richtung Dauban stahlen. Die Polizei ermittelt. Rothenburg – die östlichste Kleinstadt der Republik zieht also 14 Monate nach der östlichsten Stadt der Bundesrepublik, Görlitz, nun trocken nach. Und während Görlitz als „Jacob-Böhme-Stadt“ Schwarz auf Gelb vielleicht mehr überregionales Renommee hätte generieren können, kehrt Rothenburg völlig unzweifelhaft seinen größten Stolz hervor, der für eine Kleinstadt ein echtes Attribut darstellt. Ein Gläschen Sekt und der MP mit Entourage ziehen dorthin, wo Hochschulortsschilder bereits 2024 installiert wurden.

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Wer will nochmal? Die Blaue Gruppe bedrängt MdB, Landrat, Bürgemeister, MP und Minister in Rothenburg. Foto: Till Scholtz-Knobloch

Schließlich wartet in Görlitz bei der Grundsteinlegung für die Sanierung der Stadthalle auf der Baustelle am Anbau auf der Neißeseite um 12.30 Uhr das Event, mit dem Görlitz wirklich überregional in der Presse ist.

Die Stadthalle wechselt ihren bisherigen Charakter

Auf den Tag genau 115 Jahre nach ihrer Eröffnung bei Sonnenschein als Ort der Schlesischen Musikfeste drängt sich hier die heute führende Stadtgesellschaft mit manch prominenten Gästen im Festzelt bei Kartoffelsuppe und Brezeln, denn außerhalb der Holzplanken plätschert der Regen. Um in den heutigen Eventzeichen mit ganz anderen Formaten als reinen Aufführungen mitmischen zu können, wird die Stadthalle bis 2029 nicht nur moderner Konzertsaal, sondern erhält Raum als „hochqualitatives Tagungs- und Kongresszentrum“, multifunktional und mit modernster Veranstaltungstechnik, das überregionale Veranstalter und ein überregionales Publikum anziehen soll. Der Große Saal der Jugendstil-Konzerthalle bietet Platz für circa 1.400 Besucher, der Kleine Saal fasst etwa 250 Besucher, vier Gartensäle haben Platz für jeweils 40 bis 60 Besucher. Der Anbau wird über zusätzliche Aufenthalts- und Bewirtungsflächen sowie Sanitäranlagen verfügen. Investiert werden rund 50,7 Millionen Euro. Etwa 44 Millionen stammen zu gleichen Teilen aus Fördermitteln von Bund und Freistaat.

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Reichenbachs Bürgermeisterin Carina Dittrich beißt bei Ralph Böhm auf Granit

Foto: Till Scholtz-Knobloch

Im Mai 2019 entschied der Stadtrat, die bereits 2012 vorgestellte Entwurfsplanung zur Modernisierung fortzuführen. Im April 2020 beauftragte der Stadtrat die Görlitzer Kulturservicegesellschaft (GKSG) mit der fachlichen Unterstützung der Planungsarbeiten sowie der Erstellung eines Betriebskonzepts. Im Juni 2024 stimmte der Stadtrat schließlich mehrheitlich für den Baubeschluss, wodurch die Sanierungsarbeiten gestartet werden konnten. Von dem Glanz der vom MP angebahnten Millionen darf Oberbürgermeister Octavian Ursu natürlich kalkuliert profitieren. Natürlich im Beisein des Landesvaters ist ja an diesem Montag – nur wenige Schritte entfernt – ab 17.00 Uhr im Parkhotel an der Neiße von der CDU die Nominierungsveranstaltung anberaumt, um Ursu auf das Schild zu heben, im Mai 2026 erneut zur Oberbürgermeister antreten zu können. Hingegen stehen im Festzelt in 8. oder 9. Reihe Ursus Kontrahent von 2019 bei der OB-Wahl Sebastian Wippel mit Stadtratskollegen Jens Jäschke sowie AfD-Bundesvorsitzenden Tino Chrupalla als ’Blaue Gruppe’ und Zaungäste quasi auch im Festzelt „im Regen“. Vorne erfolgt die Grundsteinlegung und das Versenken einer Zeitkapsel – mit einem aktuellen Amtsblatt sowie aktuellen Euro- und Zloty-Münzen, ehe Michael Kretschmer auch hier eilig enteilt.

Grüner Rasen, den nicht alle Rothenburger lieben

Ohne Mehrwert für Octavian Ursu bot sich letztlich ab 14.00 Uhr – live übertragen mit Moderation von Radio Lausitz – noch die Teilnahme an der Eröffnung des neuen Sportplatzes der Grundschule Reichenbach an. Im Gegensatz zu Görlitz gibt es hier also echte Volksfeststimmung bei Spielen, Kuchen und Bratwurst und eine Bürgermeisterin, die mit sonnigem Gemüt und echtem Basis-Elan nicht davor zurückschreckt sich im Politgeschäft etwas unbedarft weit aus dem Fenster zu lehnen. Da der SV Reichenbach mit seinen Fußballern bislang einfach nicht auf den neuen Sportplatz an der Grundschule umziehen möchte, ruft Carina Dittrich am Radiomikrofon Fußballabteilungsvorsitzenden Ralph Böhm auf die Bühne und konfrontiert ihn mit entsprechender Urkunde in der Hand mit der Frage, ob er denn einwillige, dass das neue Geläuf für diverse Leibesertüchtigungen künftig R.-Böhm-Sportplatz heißen dürfe. „Nö“, Böhm schüttelt den Kopf und bleibt auch bei Nachfragen bei besagter Geste seines Hauptes, um künftigen Zugzwängen gezielt einen Riegel vorzuschieben. R.-Böhm-Sportplatz? Ja, das R. lässt sich nicht nur als Ralph lesen, sondern nimmt quasi den einstigen Vereinsvorsitzenden und Vater des Fußballchefs, Rainer Böhm, gleich mit. Auf der Urkunde, die sich Ralph Böhm auch nicht in die Hand drücken lässt, ist ferner Marlies Böhm genannt, deren M. jedoch nicht zur Geltung käme.

Der Dialog vor Radiopublikum ist jedenfalls hochauthentisch und hat trotz der eigentlichen Peinlichkeit dennoch nicht wirklich etwas, das unangenehm in der Luft hängen bleibt. Carina Dittrich bekennt eher fröhlich, dass sie im Amte manches Lehrgeld zahle musste, auch bei den Planungen rum um den Sportplatz, als sie feststellte, dass auch Stadträte ihren eigenen Kopf haben und man sich auch mal auf Moderation beschränken müsse. Da zur Anlegung des Platzes unter Trauer der Grundschüler eine alte Eiche gefällt worden war, greifen Carina Dittrich, Michael Kretschmer, Landrat Stephan Meyer, MdB Florian Oest und Ex-MdB Thomas Jurk an diesem Tag zum Spaten und sorgen für ein neues Bäumchen mit erhoffter Zukunft. Polit-Rentner Thomas Jurk (SPD) betont noch einmal im Gespräch mit der Redaktion, dass sein einstiger Görlitzer Büroleiter Norbert Starke eine nicht unwichtige Rolle bei der Anbahnung der Finanzierung des neues Sportplatzes gespielt hat. Als Reichenbacher habe dieser natürlich besonderen Elan gezeigt, als sich im Haushaltsausschuss, dem Jurk angehörte, Mittel für Sportanlagen abzeichneten, schmunzelt Jurk, während dieser die Darbietungen des Nachwuchses des Reichenbacher Carnevalsclubs e.V. (RCC) betrachtet. Als finanzschwache Gemeinde habe Reichenbach am Ende 90 Prozent Fördergelder erhalten – mehr als andere.

Segen von oben

Mit Spaten in der Hand, segnet Pastor Christoph Wiesener die Anpflanzung, während beim nächsten Termin des Ministerpräsidenten in Görlitz gleich zwei Geistliche in Form von Roland Elsner und Matthias Paul für noch mehr Segen von oben sorgen sollen.

Pfarrer Elsner liest Psalm 23, die Versammelten singen „Lobet den Herren“ und Pastor Matthias Paul verweist auf den Apostel Paulus im Römerbrief 13, 7 – „Ehre wem Ehre gebührt“. So gestärkt kann Octavian Ursu in seiner Rede treten und hier unter anderem bekennen, dass es gut tue, in sieben Jahren auch einmal gelobt zu werden.

Hat Ursu mit der Rückendeckung des Ministerpräsidenten die Kraft, erster Nachwendeoberbürgermeister mit einer zweistelligen Zahl an Amtsjahren zu werden? Mit zwei Amtsperioden oder 14 Amtsjahren ließe sich selbst Demiani einholen. Große Bürgermeister gibt es also stets in Zeiten, in denen es etwas zu verteilen gibt. Zwar ist im Lande eigentlich kein Geld mehr da, aber die von Ursu verlesene eigene Erfolgsliste ist lang, was dann eben auch die Frage aufwirft: Wie viel Ursu ist eigentlich dabei? Geht es im Kern nicht doch eher um Kretschmer, der mit einem Prestigeverlust, die eigene Heimat doch dem politischen Gegner abtreten zu müssen, nicht leben kann und reinbuttert.

Sebastian Wippel, der 2019 nicht gegen einen CDU-Mann mit Amtsbonus antreten musste, hätte jedenfalls allein vor diesem Hintergrund nun einen Nachteil, der jedoch wiederum von der allgemeinen Talfahrt der Union und dem Höhenflug der ’Blauen Gruppe’ aufgefangen werden dürfte. Bislang hat Wippel seinen Hut aber noch nicht offiziell in den Ring geworfen, was Octavian Ursu langsam nervös machen dürfte.

Es riecht dennoch danach, dass Sebastian Wippel letztlich doch in die Pflicht genommen wird – aber er muss sich nun sputen. Denn eine richtige Vision, was seine Handschrift für die Stadt wäre, hat dieser bislang nicht an den Horizont gezeichnet. Wäre das Amt überhaupt eine Herzenssache? Bislang überwiegt in Wippels politischer Arbeit der Blickwinkel auf die staatlichen Bezüge, die konkreter auf das Kommunale herunterzubrechen wären.

In diese Überlegungen grätscht nun Unternehmer Stefan Menzel, der so manches Hühnchen mit der aktuellen Stadtspitze rupfen möchte und gegenüber dem Niederschlesien Kurier betont: „Ich trete an.“ Während die CDU die großen Akteure mit Staatsgeldern in der Not verhätschelt, könnte der enttäuschte Mittelstand sein Kreuz für Menzel setzen. Doch was passiert im zweiten Wahlgang? Menzel ist letztlich der Heißsporn, der schon manche Verbündete vor den Kopf gestoßen hat. Das Spiel ist eröffnet – es gibt nun keine Ausreden mehr. Kommt die ’Blaue Gruppe’ in die Strümpfe oder gibt es Angst vor dem Schwarzen Mann? Und wer ist das eigentlich? Octavian Ursu oder doch Michael Kretschmer?

Im Niederschlesischen Kurier vom 1. November 2026 kommentierte Till Scholtz-Knobloch zudem: "Ein historischer Bezug von Innenstadtgemeindepastor Matthias Paul bei der CDU-Nomierungsveranstaltung stellt nach meinem Eindruck ein Foul dar. Im Römerbriefes, dies hob Paul hervor, heiße es: „Einer komme dem anderen mit Ehrerbietung zuvor“. Soweit so gut, zumal es statt bei Luther in der Einheitsübersetzung noch präziser heißt: „Seid einander in brüderlicher Liebe zugetan; übertrefft euch in gegenseitiger Achtung.“ Matthias Paul begründete seine Bezugnahme mit der Auseinandersetzung um Positionierungen kirchlicher Würdenträger im Hinblick auf ein erhofftes Wählervotum in der Zwischenkriegszeit in Görlitz. Der rechte Bürgermeister Georg Snay (DDP) habe zwar grundsätzlich demokratisches Format gezeigt, doch Paul zielte letztlich auf Folgendes ab: „Hindenburg wurde Reichspräsident und wir wissen wohin das am Ende führte.“ Trotz aller Schnörkel ist seine Ehrerbietung für 2026 damit gesetzt, könnte man daraus lesen. Natürlich sind auch andere Lesarten denkbar. Aber der Umstand allein, dass ein solcher Interpretationsrahmen eröffnet wird, zeigt, dass es auch 2025/26 – wie übrigens immer – nicht wirklich eine gute Idee sein kann, in der Politik kirchlichen Beistand zu bemühen. Denn: Werden Paul und auch Elsner bei anderen aussichtsreichen Kandidaten ebenso ihre Aufwartung machen und ihre Ehrerbietung dann weiter übertreffen? Ich vermute eher nicht..."

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